Inseln im Wind
der Treppe Anne Noringham und George Penn stehen sah. Eilig ging sie zu den beiden hinüber.
» Da bist du ja«, sagte Anne. Sie fasste Elizabeth bei den Händen und lächelte sie an.
Ihr etwas spitzes, sonst recht blasses Gesicht war auf kleidsame Weise gerötet, was sie frisch und hübsch aussehen ließ, ein Eindruck, der durch das Kleid aus duftiger, aprikosenfarbener Seide noch unterstrichen wurde. Ihr Haar, vom selben Haselnussbraun wie ihre Augen, war über den Ohren zu kunstvollen Schnecken aufgedreht, von denen Korkenzieherlocken auf ihre Schultern herabbaumelten. Anne griff mit gespielter Verzweiflung nach einer davon und zog ein Gesicht.
» Furchtbar, oder? Die Frisur habe ich Maggie zu verdanken. Sie behauptet steif und fest, das trägt man derzeit so bei Hofe.« Maggie war ihr neues Hausmädchen, das vor einigen Monaten auf der Insel eingetroffen war und über eine begehrte Fähigkeit verfügte: Sie war eine meisterhafte Schneiderin und hatte nicht nur für Anne Noringham, sondern auch für Elizabeth und Felicity die Gewänder gefertigt, die sie an diesem Abend trugen. Man hatte sie deportiert, weil sie angeblich einen Ballen Stoff gestohlen hatte, was sie indessen vehement bestritt und die Leute, die sie hierher gebracht hatten, des Menschenraubs bezichtigte. Nichtsdestotrotz fühlte sie sich wohl auf Barbados und war dankbar, dass ihre Kerkerhaft in Arbeitsdienst auf den Antillen umgewandelt worden war. Für sie war es ein Glücksfall, dass die Noringhams ihren Strafkontrakt aufgekauft hatten, denn auf Summer Hill wurde die Dienerschaft besser behandelt als anderswo.
Annes künftiger Ehemann George stand neben ihr und zupfte mit unglücklicher Miene an seinem hohen Kragen, der für das tropische Klima ebenso wenig geeignet war wie sein schwerer, samtener Überrock, der vor gut zwanzig Jahren in Mode gewesen sein mochte. Offenbar glaubte er, durch gediegene Kleidung wettmachen zu müssen, was ihm an Lebensart abging. Er trug zwar den Titel eines Baronets, stammte aber aus bäuerlichen Verhältnissen und hatte nichts anderes gelernt, als Land zu kultivieren. Darauf verstand er sich jedoch ausgezeichnet: Die Felder seiner Plantage gediehen prächtig.
» Wo ist dein Bruder?«, fragte Elizabeth Anne. » Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen!«
» William ist schon wieder fort, er lässt sich bei dir entschuldigen«, sagte Anne verlegen. » Mutter hatte Kopfweh, er hat sie heimgebracht.«
» Das tut mir leid«, sagte Elizabeth. Annes Gesichtsausdruck deutete darauf hin, dass Lady Harriets Beschwerden nur vorgeschützt waren. Zwischen den Dunmores und den Noringhams herrschte eine unausgesprochene, aber spürbare Abneigung. Auszugehen schien es nach Elizabeths Dafürhalten eher von den Dunmores, doch wenn sie ihre Schwiegermutter oder Robert danach fragte, wurde das als Einbildung abgetan. Gewiss, man könne die Noringhams nicht sonderlich gut leiden, aber das liege allein daran, dass diese hochnäsige Sippschaft (so Marthas Worte) auf die Dunmores herabsehe und sie in der Öffentlichkeit als Emporkömmlinge verächtlich mache. Auf die Frage, warum man einander dann einlade und auf Gesellschaften miteinander rede, hatte Martha nur mit verkniffener Miene die Achseln gezuckt und gemeint, man wolle diesen adligen Angebern keinesfalls die Genugtuung verschaffen, souveräner zu erscheinen als die Dunmores.
Elizabeth bedauerte, dass William bereits gegangen war, denn seine Gesellschaft empfand sie stets als angenehm. Er war ein geistreicher Unterhalter, witzig und höflich zugleich. Seine Anwesenheit bei offiziellen Anlässen wie diesem war für sie oft der einzige Lichtblick, zumal Anne meist nicht viel mehr als ein paar Worte mit ihr wechseln konnte, weil sie George nicht vernachlässigen wollte. Auch jetzt ließ seine Miene darauf schließen, dass er sich ausgeschlossen fühlte. Elizabeth bemerkte es und trat den Rückzug an.
» Nehmt es mir nicht übel, wenn ich euch schon wieder allein lasse, aber ich brauche ein wenig frische Luft.« Auf ihrem Weg in den Innenhof folgte ihr das halb frustrierte, halb dankbare Lächeln Annes.
Der Patio war wie die Halle von zahlreichen Kerzen illuminiert. Hier und da standen kleinere Gruppen von Pfeife rauchenden Männern und Frauen mit Punschgläsern. Der würzige Geruch des Tabakrauchs mischte sich mit dem scharfen Aroma des Rums, und über allem schwebte der betäubende Duft der Frangipani, die entlang der Mauer wuchsen und deren Blüten im Licht der Laternen
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