Inselsommer
meinst du? Eigentlich haben wir uns nach diesem langen, anstrengenden, geradezu kräftezehrenden Ausflug etwas Stärkung verdient.« Doro kicherte verlegen und nickte. Ich dachte daran, dass Thomas ihre Freude am Essen gelegentlich bremste und sie ermahnte, sich zurückzuhalten, was ich Doro und uns als Gastgebern gegenüber als unangenehm empfand. Patrick bezeichnete Doros Mann in dieser Beziehung gern als
spaßfrei.
Früher war Thomas nicht so gewesen. Er hatte die Nächte zum Tag gemacht und war ein begeisterter Koch. Doch wie uns allen war auch ihm im Laufe der Jahre ein Teil seines früheren Wesens abhandengekommen.
Während Doro und Mats im Café die gemütlichsten Plätze sicherten und Paula die Schaufensterauslage dekorierte, suchte ich Larissa, um sie zu fragen, ob wir uns Freitagabend im Kino eine romantische Komödie anschauen wollten. Leon hatte einen beruflichen Termin.
»Wo ist denn Larissa?«, fragte ich Rieke, die an der Kasse die Auslage mit Stiften, Taschenkalendern und anderem Schnickschnack sortierte.
Sie zuckte mit den Schultern.
»Eigentlich wollte sie nur kurz auf die Toilette«, sagte Rieke und schaute auf die Uhr: »Das ist allerdings schon eine ganze Weile her, merkwürdig.«
»Soll ich mal nach ihr sehen?«, fragte ich unsicher. Larissa hatte vorhin schon so gestresst gewirkt. Bevor Rieke antworten konnte, wollten drei Kunden gleichzeitig bezahlen.
Also ging ich in den Vorraum des Personal-WCs, wo ich jemanden weinen hörte.
»Larissa?«, fragte ich leise. »Bist du das? Alles okay bei dir?« Anstelle einer Antwort hörte ich, wie sich jemand die Nase putzte. Schließlich drehte sich der Türknauf, und Larissa kam heraus. Ihre Augen waren vom Weinen ganz verquollen, und sie war aschfahl. »Bist du krank? Soll ich einen Arzt rufen?«, fragte ich besorgt, während sie sich, ohne mich anzusehen, über das Waschbecken beugte, den Hahn aufdrehte und sich mit eiskaltem Wasser das Gesicht wusch. Dabei zerflossen die letzten Reste ihrer Wimperntusche. Erst als sie sich das Gesicht abgetrocknet hatte, blickte sie mir in die Augen – ihr Gesichtsausdruck war nun beinahe trotzig.
»Nein, ich bin nicht krank. Ich habe nur mal wieder meine Tage bekommen, das ist alles.«
Erleichtert nahm ich sie in den Arm.
»Wenn du Schmerzen hast und eine Tablette brauchst, laufe ich schnell rüber zur Apotheke.«
Doch Larissa schüttelte den Kopf und löste sich aus meiner Umarmung.
»Nein danke. Mir geht’s soweit gut. Ich bin nur so enttäuscht, dass es schon wieder nicht geklappt hat.«
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was sie quälte. »Verstehe«, murmelte ich und dachte an all die Jahre, in denen Patrick und ich vergeblich versucht hatten, ein Kind zu bekommen. »Es tut mir so leid, ich weiß genau, wie du dich fühlst«, hauchte ich, und plötzlich liefen mir Tränen übers Gesicht. All die Hoffnungen und Wünsche, all die Sehnsüchte – vergebens! Dann nahm ich Larissa in den Arm und hielt sie so lange umschlungen, bis sie irgendwann anfing zu lachen.
»Hey, du erdrückst mich ja.« Sie trat einen Schritt zurück und lächelte zaghaft. »Lass uns lieber wieder in den Laden gehen, bevor ich mich endgültig auflöse. Ist ja nicht das erste Mal, dass ich so enttäuscht bin, eigentlich sollte ich härter im Nehmen sein.«
»Es gibt Dinge im Leben, an die gewöhnt man sich nie«, antwortete ich leise.
Larissa hatte recht.
Manchmal half kein Trösten mehr, und man musste sich seinem eigenen Schmerz stellen.
Und genau das fiel zuweilen unendlich schwer …
16 . Kapitel
A m Tag darauf hatte ich immer noch mit den schmerzhaften Erinnerungen zu kämpfen, die das Gespräch mit Larissa in mir ausgelöst hatten. Deshalb freute ich mich auf den Kinobesuch und darauf, mal wieder lachen zu können.
Mit einem Lächeln auf den Lippen verließ ich nach der Vorstellung die Kinowelt, das kleine Multiplex-Filmtheater in der Westerländer Strandstraße. Larissa und ich hatten beide die ganze Zeit vor uns hingekichert, während wir uns um die Tüte Popcorn kabbelten.
»Hast du Lust, noch etwas trinken zu gehen?«, fragte Larissa. »Im Seeblick in der Käpt’n-Christiansen-Straße hat man eine spektakuläre Aussicht aufs Wasser.«
»Aber klar!«, sagte ich erfreut.
Wir hatten Glück und ergatterten einen Tisch am Fenster des Beachhouses.
»Ich nehme den ofengebackenen Schafskäse«, verkündete ich nach einem Blick in die Speisekarte. Seit ich auf Sylt war, hatte ich bereits zwei Kilo zugenommen.
Weitere Kostenlose Bücher