Inselsommer
Doch ich hatte keine Lust, mir die Laune durch Kalorienzählen verderben zu lassen.
»Und ich den warmen Apfelstrudel mit Vanillesoße«, beschloss Larissa, die ebenso gern aß wie ich.
Während der Kellner die Bestellung entgegennahm, blickten wir wortlos auf die beleuchtete Holztreppe, die zum Strand hinunterführte.
Obwohl es schon halb elf war, waren immer noch Spaziergänger unterwegs. Liebespärchen standen eng umschlungen am Meer und schauten dem Spiel der Wellen zu.
»Kaum zu glauben, dass du Sonntag wieder nach Hause fährst«, durchbrach Larissa irgendwann das Schweigen. »Die Zeit ist so unglaublich schnell vergangen. Bea würde sich bestimmt freuen, wenn du ein paar Tage dranhängst … und ich mich auch. Willst du nicht noch hierbleiben?«
So reizvoll die Idee auch klang, wie sollte das funktionieren? Also versuchte ich diese Versuchung so schnell wie möglich abzuwehren.
»Aber deine Tante ist doch sicher froh, wenn sie das Haus wieder für sich hat und mir nicht jeden Morgen Kaffee ans Bett bringen muss.«
Larissa grinste.
»Du weißt ganz genau, dass das nicht stimmt! Bea schwärmt die ganze Zeit, wie angenehm sie deine Gesellschaft findet. Sie wollte dich schon überreden, auf der Insel eine Dependance deiner Galerie zu eröffnen. Ich finde diese Idee übrigens auch klasse, weil ich mir gut vorstellen kann, dass du damit Erfolg hättest.«
»Nun setz mir bitte keinen Floh ins Ohr«, protestierte ich, während meine Gedanken Karussell fuhren. »Außerdem vergisst du, dass ich verheiratet bin.«
Larissas Miene wurde sofort ernst.
»Du hast recht, bitte entschuldige. Das liegt bestimmt daran, dass ich deinen Patrick noch nicht kenne. Zu schade, dass er bei Neles Vernissage nicht dabei sein konnte. Hast du denn ein Foto von ihm?« Die meisten Menschen zückten heutzutage ein Smartphone, auf dem Hunderte Bilder gespeichert waren. Doch ich war in dieser Beziehung altmodisch: Ich bewahrte Patricks Bild in meinem Portemonnaie auf.
»Hey, ihr beide seid ja ein schönes Paar«, rief Larissa begeistert aus, als ich ihr das Urlaubsfoto zeigte.
»Das ist in Roussillon, einem entzückenden Ort in der Provence«, erklärte ich und war selbst erstaunt, wie glücklich wir beide auf diesem Schnappschuss aussahen – und wie unfassbar jung. Patrick trug sein dunkles, welliges Haar, das mittlerweile an den Schläfen ergraut war, länger und hatte noch wesentlich weichere Gesichtszüge. Lag das am stressigen Agenturalltag und harten Konkurrenzkampf oder daran, dass wir damals Urlaub machten?
Larissa schaute abwechselnd das Bild und dann wieder mich an.
»Ich finde, die längeren Haar stehen dir besser. Sie machen dich weiblicher.«
Nachdem ich das Foto wieder eingesteckt hatte, brachte eine Kellnerin Brot und Olivenöl und die Getränke. Ich war froh über diese Unterbrechung, denn ich wollte an diesem Abend nicht an mein Leben in Hamburg erinnert werden, egal, wie sehr ich es eigentlich mochte. Allmählich verstand ich, weshalb sich Menschen danach sehnten, aus dem Alltagseinerlei auszubrechen oder ihr Leben komplett auf den Kopf zu stellen und womöglich sogar auszuwandern.
»Und, wie geht es Nele? Hat sie sich gut in Mexiko eingelebt?«, fragte ich und wechselte das Thema.
Larissa nickte.
»Ihr geht es bestens. Wir haben heute Morgen geskypt. Sie ist schon knallbraun und hat sich lila Extensions ins Haar machen lassen. Es scheint, als hätte sie die richtige Entscheidung getroffen. Ich konnte Blairwitch sogar dazu überreden, eine Weile auf meinem Arm zu sitzen und fröhlich in die Kamera zu maunzen, damit sich Nele überzeugen konnte, dass es ihrem Liebling an nichts fehlt.
Übrigens, was hältst du von einem Abendessen morgen bei mir? Wenn du schon zurück nach Hamburg musst, sollten wir uns zumindest gebührend von dir verabschieden. Ich würde auch Adalbert einladen, weil ihr beide euch ein bisschen angefreundet habt. Vorausgesetzt natürlich, es ist dir recht.«
»Aber ja, Adalbert musst du auf jeden Fall einladen. Apropos, Bea und er verstehen sich, nicht wahr?«
»Ja, die beiden sind ein gutes Team«, entgegnete Larissa. »Allerdings wünschte ich mir, dass sie mehr als das wären. Es ist nämlich an der Zeit, dass Bea sich wieder mit einem Mann zusammentut. Knut ist schon lange tot, und schließlich wird sie nicht jünger. Allerdings darfst du sie nicht darauf ansprechen, sonst wird sie wütend.«
»Wütend?«, fragte ich belustigt. »Warum denn das?«
»Weil sie der Meinung ist, dass
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