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Inselwaechter

Inselwaechter

Titel: Inselwaechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob M. Soedher
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weite Rasenfläche lag einsam im Schatten der gewaltigen Linden. Ein versteckter Flecken voller Frieden. An der Ufermauer saß eine Frau unter einer der Linden und las. Hinter ihr, auf der weiten Rasenfläche, tobten, gleichsam lachend, stolpernd und fallend, einige Kinder mit einem Ball herum. Jenseits der alten, steinernen Ufermauer, auf dem Kleinen See, blubberten die Motoren der Boote, und, vom Fischerhaus im Winkel zum Bahndamm gedrängt, klang das Klirren von Bierflaschen. Am östlichen Nachbarsgrundstück schloss sich der Ruderclub an. Ein Vierer wurde gerade ins Wasser gesetzt und aus der Bootshalle dröhnte Musik.
    Schielin wendete den Blick wieder zum Clubhaus. Die Tür stand offen. Es musste demnach jemand da sein, der ihm Auskunft geben konnte. Er war schon auf den großen Kerl mit Bart gefasst, dessen schonungslos hessischer Dialekt sich auch nach Jahrzehnten hier am See nicht im Geringsten abgeschliffen hatte. Er traf auf Hermann, einen alten Bekannten aus Reutin, der nach dem Rechten sah. Schielin blieb im Ungefähren, seine Fragen betreffend. Es ging um das Kajak, von dem Zychner gesprochen hatte. Sicher gab es hier Aufzeichnungen über die Boote, die ausgeliehen wurden.
    Hermann hielt sich nicht mit langen Reden auf und führte Schielin zu dem Katheder im Bootshaus, wo das Fahrtenbuch auflag. Seine Positionierung und Größe ließ es wie ein sakrales Hilfsmittel anmuten. Wer vom Club aus mit einem Kajak oder Kanu startete, musste Namen, Bootsnummer, beabsichtigte Fahrtstrecke, Abfahrtszeit und nach der Rückkehr die Ankunftszeit festhalten. Schielin blätterte in dem Register. Inselrunde, Wasserburg und Lochau – so lauteten die Favoriten unter den Zielen. Für den vergangenen Freitag und Samstag gab es gleich mehrere Seiten mit Einträgen; es war ziemlich viel los gewesen an diesem Wochenende, was angesichts des Wetters nicht verwundern konnte. Der letzte Rückkehrer hatte sich am Freitag um zweiundzwanzig Uhr ausgetragen und am Samstag war das nächste Kajak nach Zenger laut Fahrtenbuch um sieben Uhr unterwegs gewesen. Ein Ehepaar, mit dem Ziel Wasserburg. Schielin hatte nicht wirklich etwas anderes erwartet, spürte aber trotzdem Enttäuschung. Hermann meinte, dass es ja auch jede Menge privater Boote gäbe, die am See unterwegs waren und nicht am Kanuclub einsetzten.
    Ja – das war Schielin auch in den Sinn gekommen, doch irgendwo musste er anfangen.
    »Und die Zelte da vorne?«, fragte er in Richtung der Kölner.
    »Wir betreiben ja keinen Zeltplatz hier, aber Leuten, die am See auf Tour sind, und Mitgliedern anderer Vereine, denen bieten wir schon die Möglichkeit hier ein paar Tage zu verbringen, um diese Seite des Bodensees zu entdecken – ist ja auch ein herrlicher Ort.«
    Schielin erfuhr weiter, dass die Gäste sich nicht im Fahrtenbuch eintragen konnten, solange keiner der Verantwortlichen das Bootshaus geöffnet hatte. Es gab für sie nur Schlüssel zu den Sanitäranlagen. Hermann kramte die Gästeliste hervor.
    Drei Einträge: ein Ravensburger Mann mit Wohnwagen, ein Sachse mit Zelt und ein Hesse.
    Er notierte Namen und Autokennzeichen.
    *
    Robert Funk und Erich Gommert hatten auf der Insel erfahren, dass Melanie Schirr einen Ausflug nach Wasserburg unternommen hatte. Sie war zu Fuß unterwegs und wollte mit dem Schiff zurückkehren, wie eine Hotelangestellte angeben konnte. Die Insel füllte sich mit den ersten Gästen der Nobelpreisträgertagung, und das gewohnt internationale Gesicht der Stadt erfuhr noch eine sichtbare Steigerung. Es waren vor allem Studenten, die neugierig durch die Gassen liefen, in Gruppen beieinanderstanden und die ersten Stunden hier am See schon jetzt genossen. In der Maximilianstraße verdichteten sich die Menschen zu einer zähen, kaum noch beweglichen Masse, die zwischen Sünfzen und Rathaus völlig zum Erliegen kam. Es bedurfte Körperkontakts, um zum Stiftsplatz oder in die Bindergasse zu gelangen. Ein fröhliches Summen aus englischen, chinesischen, französischen und schwäbischen Lauten schallte zwischen den mittelalterlichen Fassaden. Hinter der Inselhalle, am Ufer des Kleinen Sees, standen schon die hell in der Sonne glänzenden Zelte für Presse und Catering. Auf den Stufen zum Wasser hin saß die junge Wissenschaftlerwelt mit Smartphone und Netbook und surfte auf digitalen Wellen. Schwäne, Enten und Möwen sammelten sich rundherum in gieriger Erwartung. In den Cafés am Hafen weilten die Erfahrenen. Kein Stuhl war mehr frei und vor den

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