Inselwaechter
ausgelassener Abend. Sie verstehen – alte Geschichten, alter Wein, zwei alte Männer.« Grohm lachte anbiedernd.
Schielin ging auf die alten Männer nicht ein. »Dieser Herr Gahde, ist er noch in Lindau?«
»Nein. Er musste am Freitagmorgen wieder fahren. Ich glaube, er war im Hotel Helvetia untergekommen. Er hat ein Faible für die Schweiz. Hatte er schon damals, als wir in Konstanz studierten, ständig war er im Thurgau unterwegs, der Kerl. Guter Sportler übrigens. Er hat eine Firma im Dienstleistungssektor. Wissenschaftliche Beratung im Bereich der Pharmaindustrie. PharmXpress. Viele Termine, viel zu tun, schwierige Aufgaben. Wir arbeiten gelegentlich zusammen an einem Projekt, wenn sich das anbietet.«
»Und der Freitagabend?«
»Es war so ein herrlicher Sommerabend. Wir saßen auf der Hotelterrasse. Frau Wilms, Frau Schirr und ich. Bis tief in die Nacht.«
»Und am Samstagmorgen dann? Wann sind Sie aufgestanden?«
Schielin stellte die Frage harmlos.
Grohm ächzte. »Es war noch vor Sonnenaufgang, als ich das Hotel verlassen und zu dem für mich üblichen Morgenspaziergang aufgebrochen bin.«
Wenzel und Schielin waren konsterniert. »Wie?«, fragten beide fast gleichzeitig.
»Zu Fuß«, antwortete Grohm schnippisch, »Sie hätten es ja sowieso bald herausgefunden. Im Hotel wissen das die Leute vom Nachtdienst. Ich brauche nicht so viel Schlaf, wissen Sie. Jeden Morgen mache ich daher einen Spaziergang, immer die gleiche Runde: am Bahnhof vorbei, den Uferweg zum Pulverturm, über den Bahndamm und dann nach Westen, entlang der Ufermauer. Dort setze ich mich dann auf eine Bank und warte, bis die Sonne hinter den Bergen erscheint. Ein erhebender Augenblick, jedes Mal aufs Neue. Ich gehe dann wieder den gleichen Weg zurück, kaufe am Bahnhof meine Zeitung und frühstücke.«
»Gibt es Zeugen für Ihren gestrigen Spaziergang?«
»Ich vermute schon. Einmal den Nachtportier. Dann habe ich lange an der Schranke da hinten am Bahndamm gestanden und mich mit dem Schrankenwärter gestritten, weil ich es als unnütz empfand, so lange an Bahngleisen aufgehalten zu werden, ohne dass ein Zug auch nur zu hören ist. Der Kerl sollte sich an mich erinnern. Vielleicht auch die Frau in der Bahnhofsbuchhandlung. Ich hole dort täglich meine Zeitung.«
»Wieso haben Sie das gestern nicht angegeben?«, fragte Schielin streng.
Grohm zuckte mit den Schultern und entgegnete nichts. Auf Wenzels Frage, ob er Frau Mahler begegnet sei, schüttelte er nur den Kopf. Er wirkte völlig gelassen. Schielin hatte ihn nachdenklich ins Auge gefasst, um Erkenntnisse aus Körpersprache und Mienenspiel zu gewinnen. Grohm kokettierte regelrecht mit der doch so wichtigen Aussage, die er gerade gemacht hatte. Seine gespielte Gelassenheit, die beinahe wegwerfende Art, in der er die letzten Sätze gesprochen hatte. Schielin tat sich schwer, dieses Verhalten einzuordnen. Was war das nur für ein Typ, dieser Grohm? Er war intelligent genug, um zu wissen, dass er sich mit dieser Aussage in den Fokus der Ermittlungen brachte. Doch es schien ihm keine Sorgen zu bereiten. Ruhig, ohne erkennbare Nervosität saß er am Tisch und wartete auf die nächsten Fragen. Schielin sah kurz zu Wenzel, der ahnte, was Schielin gerade durch den Kopf ging. Machte es Sinn, Grohms Kleidung nach Faserspuren abzuklären? Nein. Das war kein Beweis. So wie die Tat ausgeführt worden war, würde sich nicht einmal Blut finden lassen. Ein ärgerlicher Umstand, denn damit fehlte es auch an einer Spur, mit der man Grohm hätte konfrontieren und unter Druck setzen können.
»Wie war das, als Sie Frau Mahler das letzte Mal gesehen haben?«, fragte Schielin und legte die Stirn in Falten.
Grohms Unbehagen über die Frage war sofort spürbar. Seine Lippen wurden schmal und die grauen Barthaare stellten sich drohend auf. »Sie meinen sicher, wann ich Frau Mahler zum letzten Mal gesehen habe?«
»Machen Sie sich keine Gedanken darüber, ob unsere Fragen vielleicht falsch gestellt sein könnten. Antworten Sie einfach. Wie war das also?«
»Es war am Freitagnachmittag. Ich befand mich mit Frau Wilms vor dem Auktionshaus Zeller. Gerade als wir hineingehen wollten, begegnete uns Agnes.«
»Und wie war es?«
»Ich kann damit kein besonderes Gefühl verbinden. Wir haben uns eben gesehen.«
»Es war das letzte Mal, dass Sie sie gesehen haben?«
»Ja, das ist richtig.«
Schielin befragte Grohm über alle Details, seit er in Lindau angekommen war, und fertigte darüber handschriftliche
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