Inselwaechter
sich von Blau nach Rot umzufärben, wenn man den Stiel in einen Ameisenhaufen steckt, hat sie zu einem oft verwendeten Instrument im Zauber- und Abwehrglauben gemacht. Sie war der Landbevölkerung auch dadurch suspekt, dass sie die Blüten nur in den Morgenstunden öffnete. Heute weiß man, dass es die Ameisensäure ist, die die farbliche Veränderung des Farbstoffs Anthozyan bewirkt. Und dann wäre da noch der Augentrost, dem die Hirten den Namen Milchschelm – gleich Milchdieb – gaben. Als Halbschmarotzer schädigt er tatsächlich die umliegenden Gräser und mindert dadurch den Milchertrag. Auch er zählt zu den Gewitterkräutern, die man nicht im Hause duldete wie Kornblume und Kornrade. Da der Augentrost häufig als Schabab-Kraut verwendet wurde, erhielt er in manchen Gegenden auch die Bezeichnung Spöttlich.«
Lydia Naber sah auffordernd in die Runde. Sie war mit ihrem Vortrag zu Ende.
»Interessant«, meinte Robert Funk, der das Gehörte noch nicht so recht einzuordnen wusste.
Kimmel nahm seine Hände zu Hilfe, als er bemüht ruhig fragte, was der Ausflug in die Botanik mit dem Fall zu tun habe.
»Alle diese Pflanzen, alle, sind Bestandteil dieses gebundenen Straußes, der am Clubhaus am Boden lag und das Geflecht um die Stiele erinnert mich schon an eine Art Korb. Vielleicht hatte Agnes Mahler ihn ja dabei …« Sie hielt für einen Moment inne und wanderte gedanklich in die Wohnung, die sie in München gesehen hatte. »Ich weiß, es klingt seltsam, und ich bin mir da selbst nicht sicher, denn alles, was ich bisher über diese Agnes Mahler erfahren habe, deutet nicht darauf hin, dass sie eine Person gewesen wäre, die mit derlei symbolischem Zeug hantiert hätte, um eine Botschaft loszuwerden. An ihr ist so gar nichts Esoterisches zu finden. Eher Klarheit, Souveränität, Selbstbewusstsein und Durchsetzungskraft. Kein Schnickschnack. Aber … ausschließen können wir nichts. Vielleicht wollte sie ja wirklich jemandem einen Korb geben, oder der Korb war für sie bestimmt.«
»Na, die letzte Variante ist doch eher auszuschließen«, meinte Kimmel, »wer würde sich schon die Mühe machen, so einen Korb zusammenzustellen … der Gedanke daran ist schon verrückt genug … und dann bringt der Botaniker die Empfängerin um und lässt diesen Korb so verloren an der Mauer stehen. Das ist doch wenig logisch. Wenn einer sich eine solche Mühe macht, ist das doch wichtig für ihn, von zentraler Bedeutung.«
»Vielleicht ist die Sache eskaliert«, meinte Robert Funk.
Wenzel verzog den Mund. »Nein. Dazu war zu wenig los am Tatort. Und die Tatwaffe musste der Täter ja auch dabeihaben. Das Messer lag da ja nicht herum, und dass er einfach die Nerven verloren hat, glaube ich nicht. Zu wenig Spuren und keine Auseinandersetzung.«
Hundle streckte sich unter dem Tisch. Alle zogen ihre Beine ein. Gommi sah nach, ob auch alles in Ordnung war. Was Lydia da herausgefunden hatte, war derart exotisch, dass im Moment keiner eine Eingebung hatte, wie eine sinnvolle Verbindung hergestellt werden konnte.
Robert Funk hielt es für gut, ein anderes Thema anzuschneiden und sagte, dass dieser Walter Zenger angerufen habe, weil ihm noch etwas eingefallen sei. Es ging um das gelbe Haus am Brettermarkt, das mit dem Türmchen auf dem Giebel. Am letzten Samstagmorgen sei da oben auch jemand gewesen. Wenzel hob die Hand und signalisierte, dass er sich darum kümmern werde. Er wollte sowieso noch einmal zur Motorjacht, die nach wie vor am Polizeischuppen lag.
Lydia saß tief gebeugt am Tisch und kraulte Hundle den Kopf.
Schielin war gedanklich noch ganz mit diesem Korb beschäftigt und wandte sich an Lydia. »Das mit dem Korb ist schon eine seltsame Angelegenheit. Wie willst du in der Sache weitermachen?«
Sie richtete sich auf und fuhr mit einer fahrigen Bewegung ihrer Hand durch die Luft, was ausdrücken sollte, dass sie zwar nicht ganz unschlüssig über ihr weiteres Vorgehen war, vielleicht schon eine Idee hatte, aber dies alles noch nicht so weit gediehen war, dass es lohnte darüber ein Wort zu verlieren.
Schielin nahm es zu Kenntnis. »Die Tasche fehlt und ihr Handy. Wer immer es war, hat die Sachen mitgenommen. Weshalb?«
»Raub?«, warf Kimmel in die Runde.
Keiner sprang darauf an. Robert Funk wies darauf hin, dass alle bekannten Bankverbindungen gesperrt und bis jetzt keine Zahlungsaktionen mit EC- oder Kreditkarte aufgelaufen seien. Das wäre auch zu schön gewesen.
Lydia drehte sich unvermittelt Erich Gommert zu.
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