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Inselwaechter

Inselwaechter

Titel: Inselwaechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob M. Soedher
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Bindergasse verkeilt, in der Nobelstraße liegt eine leblose Person auf der Straße rum, und seit einer halben Stunde rufen ständig Leute an, die melden, dass draußen am Taubenberg so ein Durchgeknallter mit einem Hund unterwegs ist und zwanzig Meter in die eine Richtung rennt, dann wieder umdreht, um wieder in die andere Richtung zu tappen. Das soll schon eine ganze Weile so gehen.«
    Kimmel sah die Szenen förmlich vor sich. »Mein Gott, mein Gott. Deppen gibt’s auf dieser Welt, es ist nicht zu glauben.«
    Der Kollege bestätigte. »Rechte Deppen. Die Streifen sind alle beschäftigt und der Hundstratzer kommt von Hergensweiler her und fährt den Taubenberg an. Schaut also schlecht aus mit Unterstützung.«
    Nach einigen weiteren Telefonaten stand Kimmels Entscheidung fest. Er selbst würde mit Lydia Naber nach Augsburg fahren, um diesen Dohmen, wenn man ihn kriegen würde, nach Lindau zu bringen. Schielin und die anderen sollten sich um die Dinge kümmern, die inzwischen aufgeworfen waren. Kimmel eilte in sein Büro und holte die Dienstwaffe. Das abgegriffene Lederholster schnallte er am schmalen Gürtel seiner Hose fest. Dann stürmte er hinaus, holte den BMW. Das Gewicht der Knarre zog die Hose straff in Richtung Erdboden. Immer wieder musste er deshalb auf seinem eiligen Weg über den Hof den Fetzen nach oben ziehen. Eine Streifenbesatzung der Polizeiinspektion war gerade in den Hof gefahren und zwei junge Burschen in Uniform entstiegen dem Audi. Sie folgten Kimmels aufgeregtem Weg mit neugierigen Blicken. Wann schon sah man den Kripochef derart ungestüm über den Hof rennen.
    Auch Kimmel nahm die beiden aus den Augenwinkeln wahr und meinte ein hämisches Grinsen bei mindestens einem festgestellt zu haben.
    Beim Anfahren würgte er den BMW ab. Er war Automatik gewohnt. Elende Kupplung, elendes Ding. Kupplung! Dieses Wort hasste er seit seiner Schulzeit. Da hatte er irgendwann im Diktat Kuhplung geschrieben, weil er an eine Kuh gedacht hatte. In diesem elenden Diktat war es um einen Wagen gegangen, der gezogen werden sollte. Mit seinem Großvater in Scheidegg war er immer mit einem Kuhgespann unterwegs gewesen und in seiner Verträumtheit während des Diktats schien es ihm logisch, dass dieses Wort von Kuh kommen musste.
    Der Lehrer hatte es später laut vorgelesen, sich über Kühe lustig gemacht, ihn an den dünnen Haaren direkt hinter dem Ohr gezogen und war meckernd und schimpfend weitergehumpelt, mit seinem Bein, das man ihm im Krieg in Fetzen geschossen hatte, weswegen er verächtlich Humpel genannt wurde. Verächtlich, nicht weil er humpelte, sondern weil er den Hader über sein Schicksal an ihnen ausließ, die sie in den Bänken saßen und Kuhplung schrieben statt Kupplung und anderes falsches Zeug. Aber Kimmel hatte es ihm bald darauf heimgezahlt. In einer Nacht, die ihm sicher schien, war er zu dem Häuschen in Aeschach geschlichen. Dort hatte er ihm einen schönen Kuhfladen auf das Podest vor dem Eingang gelegt, Zeitungspapier darübergebreitet, anschließend angezündet und schnell geklingelt. Tatsächlich war Humpel selbst an die Tür gekommen, wie er es gehofft hatte, und nicht seine blasse kleine Frau, die alle bemitleideten, mit einem solchen Mann verheiratet zu sein. Oder gar seine missgünstig dreinschauende Tochter mit den tief liegenden Augen und der flachen Brust.
    Brav hatte Humpel , noch leise fluchend, das Feuer ausgetreten und endlich, endlich, als er gemerkt hatte, worum es bei dem Feuerchen wirklich ging, voller Wut und Verbitterung in die Nacht gebrüllt. Kimmel hatte im Gebüsch gelegen, weit genug entfernt, um nicht vor Angst bewusstlos zu werden, und er hatte Genugtuung verspürt.
    Die anschließenden Verhöre in der Schule und zu Hause hatte er überlebt, wie alle anderen Verdächtigen auch. Man fahndete nach einem Straftäter, nach einem missratenen Produkt der Gesellschaft. Er hielt stand. Sein Vater hatte ihm eine geknallt, als er die Frage, ob er es gewesen sei, mit Nein beantwortet hatte. Damit war die Sache erledigt.
    Er hatte schon deshalb kein Sterbenswörtchen darüber verlieren können, weil es seine Freunde auf ähnliche Art und Weise wie ihn erwischt hatte. Einer von ihnen sprach von Kollektivstrafe. Ein Wort, das er irgendwo aufgeschnappt hatte, und das Kimmel bis dahin noch nie gehört hatte. Von da an mochte er neben dem Wort Kupplung auch das Wort Kollektiv nicht mehr. Später war Kaserne noch dazugekommen. Jedenfalls hatte er die Kuh gerächt und jetzt hockte

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