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Inselwaechter

Inselwaechter

Titel: Inselwaechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob M. Soedher
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früher, Konstanz. Aber da war man noch jung und hat das ein oder andere Mal auch mitgesungen, mitgegrölt.«
    Erich Gommert nickte. »Ach ja. Des ist ja sozusagen die Bierzeltnationalhymne vom Bodensee«, er summte leise vor sich hin, »die Fischerin vom Bodensee ist eine schöne Maid, juchhe … das geht einfach ins Blut, herrliche Melodie, schöner Text …«
    Grohms Gesichtszüge verfinsterten sich: »Eine Metapher.«
    »Ah, was, eine …?«, kam es von Gommert.
    »Es ist eine Metapher – dieses Lied«, antwortete Grohm ernst.
    Erich Gommert wusste nichts mit Grohms Aussage anzufangen. »Mhm. Es ist ein Heimatlied halt, es ist ein Volks- oder Heimatlied.«
    »Genau, ja. Metapher«, bestätigte Grohm finster, »eine junge Frau, ein weißer Schwan, ein Boot, das Wasser mit seiner unergründlichen Tiefe, in dem alles zu versinken, zu verschwinden droht, der alte Hecht … Metapher.«
    Erich Gommert sah entgeistert auf. »Na ja. Es ist doch eher fröhlich. Abendrot, Boot, Lieder klingen von der Höh, am schönen Bodensee. Doch eher fröhlich würde ich sagen.«
    Grohm sah über seine Brille. »Nichts ist fröhlich daran. Das Wasser, der weiße Schwan …«
    »… ein Sinnbild der Unschuld und Liebe«, fiel Gommi ein.
    Grohm schüttelte den Kopf und wiederholte: »Unschuld … Liebe. Es ist ein Bild des Todes. Der Schwan ist ein Sinnbild des Todes und das Wasser ist das dunkle Reich des Todes, in welchem alles versinkt, der Kahn ist Sinnbild der Heimstatt des Menschen im Reich des Todes und die junge Frau, eine Fischerin, ringt dem Totenreich durch das Auslegen ihrer Netze letztlich ihr Recht auf Leben ab – Nahrung. In der Verkettung mit dem Schwan gibt dieses Bild in expliziter Weise die Unentrinnbarkeit des Menschen vom Tod wieder.«
    Gommi hatte mit offenem Mund zugehört und musste schlucken. »Oh! So … also so habe ich das noch nie gesehen. Es geht ja bei dem Lied denke ich eher um …«
    Grohm überging ihn. »Als Kyknos in einem Pappelhain am Ufer des Flusses Eridanus den Tod seines treuesten Freundes Phaëton laut klagend betrauerte, da hatten die Götter Mitleid mit ihm und verwandelten ihn in einen Schwan aus leuchtenden Sternen – das Sternbild, Sie wissen, ja …«
    Erich Gommert nickte beeindruckt und ahnungslos. Grohm machte weiter. »… bevor Kyknos aus Trauer über den geliebten Freund starb, sang er auf jene von keinem anderen Gesang an trauriger Schönheit übertroffene Weise – der letzte Gesang des Schwanes vor dem Tod, der Schwanengesang. Es geht also in diesem Lied um die fundamentale Darstellung von uns Menschen in der Welt, um eine uns umgebende, grundsätzlich feindlich gesonnene Natur, und es geht auch um den uns ständig verfolgenden ödipalen Konflikt – es ist Ausdruck einer einzigen Seelennot, dieses Lied, es ist ein Schwanengesang, ein Abgesang auf die Liebe und das Leben. Es ist ein in seinem innersten Wesen ein uns Menschen depressiv, traurig stimmendes Stück.«
    Erich Gommert war entsetzt. So war ihm das beim letzten Kinderfest in Aeschach überhaupt nicht vorgekommen.
    *
    Lydia Naber betrat das Büro und holte Grohm ab. Erich Gommert stand auf und ging hinüber zu Robert Funk. Die beiden sollten das Hotelzimmer Grohms durchsuchen. Die Geschichte mit dem fehlenden Doktortitel reichte für einen Beschluss.
    Im Vernehmungsraum warteten bereits Wenzel und Schielin. Der hatte Jasmin Gangbacher einen Stapel Unterlagen gegeben. Material, das er am Vorabend zusammengetragen hatte, und das sie nochmals recherchieren sollte.
    Grohm trug eine leichte Sommerhose, ein hellgraues Hemd, dazu ein dunkelrotes Jackett. Seine dunklen Augen hoben sich heute vom ergrauten Haar besonders intensiv ab. Er atmete hörbar durch die Nase, um seinen Unmut und seine Gereiztheit zum Ausdruck zu bringen. »Schön, dass das dann doch noch geklappt hat«, formulierte er spitz, als er sich setzte.
    Schielin startete das Aufnahmegerät, sprach ruhig und formell Zeitangaben, Namen der Anwesenden und Grohms Personalien auf das Band.
    »Sie wissen, aus welchem Grund wir Sie nochmals haben kommen lassen?«
    Grohm zuckte nur mit den Schultern und gab sich uninteressiert.
    Lydia Naber hielt einen Stapel Papiere hoch und ließ die Blattkanten durch ihre Finger gleiten, dass es rasselte. »Das sind die Unterlagen, die wir über Sie zusammengetragen haben. Nicht wenig. Ein Dokument allerdings fehlt …«
    Grohm grinste und reckte seinen Kopf gespielt amüsant nach vorne: »Welches denn? Vielleicht kann ich Ihnen ja

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