Inselzauber
Aquarellpapier.
Es sind ihre Zeichnungen für das Kinderbuch. Gott sei Dank, sie hat das Projekt nicht abgeblasen! Wir sitzen bei einem Glas Wein in ihrer gemütlichen Küche, und ich freue mich, dass wir endlich mal wieder Zeit haben, uns in aller Ruhe zu sehen – fernab von beruflichen Themen.
Verzückt blättere ich durch die Welt, die Nele mit ihren Bildern erschaffen hat. Vor meinen Augen entsteht die Geschichte einer Trollfamilie, die in einem Baumhaus wohnt. Neles Farben verfügen über eine derartige Intensität und Strahlkraft, dass ich mich nicht sattsehen kann.
»Guck mal, das ist Trollina, das Baby. Ist die nicht niedlich?«, schwärmt Nele nun selbst von ihrer Arbeit.
Sie muss Tag und Nacht daran gesessen haben, so spät, wie sie damit begonnen hat. Es ist mir absolut schleierhaft, wie sie dieses Pensum neben dem Café und den Konzepten für das Büchernest bewältigen konnte.
»Es ging nicht anders, ich musste mich zusammenreißen«, erklärt Nele, als ich sie darauf anspreche. »Irgendwie hat es mir aber auch Auftrieb gegeben, mal wieder etwas zu tun, eine echte Aufgabe zu haben und nicht nur so vor mich hin zu dümpeln, wie ich es mit dem Möwennest mache. Ich hoffe jetzt nur, dass sie es auch im Verlag mögen.«
»Die haben die Skizzen doch schon abgesegnet«, wende ich ein und muss an Neles Hamburg-Trip denken, als sie die Affäre mit Alexander Herzsprung begonnen hat. »Was soll denn jetzt noch schiefgehen?«
»Eigentlich nichts«, antwortet meine Freundin und streichelt Blairwitch, die sich zu uns gesellt hat. »Aber sie müssen natürlich die Farben mögen. Und die Autorin muss ebenfalls einverstanden sein.«
Ich nicke und trinke einen Schluck Wein. »Wie schön, dass du über deinen Schatten gesprungen bist und das Projekt zu Ende gebracht hast, obwohl du mit Alexander nichts mehr zu tun haben willst«, lobe ich meine Freundin.
Nele seufzt kurz und verstaut ihre Illustrationen wieder in einer Mappe. »Na ja, optimal finde ich das alles nicht. In meiner ersten Wut wollte ich das Ganze tatsächlich hinwerfen, wie du weißt, aber als die nächste Mahnung ins Haus geflattert kam, war mir klar, dass ich mir das nicht leisten kann. Schließlich kann so ein Buch auch der Start für die Zusammenarbeit mit anderen Verlagen sein. Dann habe ich überlegt, ob ich Renata Baumgarten bitten soll, mir einen anderen Lektor zuzuteilen, was aber natürlich für alle Beteiligten peinlich geworden wäre.«
Ich bin froh, dass Nele keine der beiden Varianten gewählt hat.
»Letztlich habe ich beschlossen, dass es an der Zeit ist, erwachsen zu werden und die Suppe auszulöffeln, die ich mir eingebrockt habe. Immerhin war es nicht besonders schlau, etwas mit Alexander anzufangen (ich verkneife mir ein besserwisserisches Nicken). Aber er ist ja nicht die Liebe meines Lebens und offensichtlich ein kompetenter Lektor, also was soll’s.«
»Wirklich schön, ich finde, das solltest du weiterverfolgen«, wiederhole ich nochmals, während ich im Geiste schon das fertige Buch vor mir sehe. »Wenn es erschienen ist, können wir es in der Bücherkoje präsentieren. Ich finde sowieso, dass wir zu wenige Veranstaltungen für Kinder machen. Vielleicht hat die Autorin Lust, für eine Lesung nach Sylt zu kommen. Oder ich übernehme das, so viel Text ist es auch wieder nicht.«
»Ich höre dich immer WIR sagen und von der Zukunft sprechen«, sagt Nele mit einem Schmunzeln und stellt eine Schale mit Oliven auf den Tisch. »Hast du schon vergessen, dass du bald in Italien sein wirst? Oder hast du etwa eine Absage aus Mailand bekommen?«, fragt sie.
Für einen Moment habe ich den Eindruck, einen Hoffnungsschimmer in den Augen meiner Freundin aufglimmen zu sehen. »Nein, habe ich nicht. Aber auch noch keine Zusage«, murmle ich, weil ich nun selbst irritiert bin. Zu sehr habe ich mich gerade in die Vorstellung verliebt, eine Meute kleiner Kinder auf Sitzkissen in der Buchhandlung vor mir zu sehen, in der Mitte Nele und ich, wie wir aus dem Buch vorlesen und die Bilder herumzeigen. Man könnte von den Illustrationen auch Dias machen lassen und sie an die Wand projizieren. Außerdem könnte Nele Trollkekse backen und sie an die kleinen Zuhörer verteilen.
STOPP , ermahne ich mich und versuche stattdessen meine Gedanken wieder in Richtung Italien zu schicken.
»Die kommt schon noch«, unterbricht Nele mich, und für eine Sekunde weiß ich nicht, worauf sie sich bezieht. »Wenn du erst in Mailand wohnst, besuche ich dich. Bis
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