Inselzauber
dahin gibt es das Möwennest sicher nicht mehr, und ich bin arbeitslos. Dann habe ich Unmengen an Zeit und kann mit dir die Stadt erkunden. Ich werde zwar kein Geld haben, um bei den einschlägigen Designern einzukaufen, aber für ein Eis auf der Piazza wird es wohl noch reichen. Was meinst du? Dann wärst du dort nicht so einsam?«
Für einen Moment finde ich die Idee sehr schön, denn natürlich habe ich Angst davor, allein in einer fremden Stadt zu sein. Denn selbst Marco lebt nicht mehr dort. Andererseits muss ich mich allmählich mal meinen Ängsten stellen. Und eine Rückkehr nach Hamburg wäre definitiv der falsche Weg, das wird mir immer klarer. Im Grunde verbindet mich nichts mehr mit dieser Stadt, so schön sie auch ist.
»Ach, Nele«, antworte ich gerührt und zugleich bedrückt. »Natürlich fände ich es toll, mit dir dort zu sein. Aber ich weigere mich immer noch zu denken, dass es das Café irgendwann nicht mehr gibt. Ich glaube nach wie vor an den Plan mit dem Büchernest. Ihr werdet sicher Erfolg haben, und dann besuchst du mich einfach im Urlaub. Dann hast du nicht nur das Geld für Eis, sondern auch für die Mailänder Mode. Aber wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich ehrlich gesagt sowieso lieber mit dir nach Venedig fahren.«
»Ja, Venedig«, gerät nun auch Nele ins Schwärmen. »Am besten verbinden wir einfach beides. Wir machen eine Tour durch Norditalien. Und in Venedig bleiben wir mindestens fünf Tage. Wir füttern Tauben auf dem Markusplatz, trinken einen Cappuccino auf der Terrasse des Hotels Danieli (schön, dass meine Freundin und ich die gleichen Phantasien haben), schlendern durch die winzigen Gassen, kaufen uns diese kleinen, zierlichen Figuren aus Murano-Glas und machen uns über all die Liebespaare lustig, die völlig verkitscht in einer Gondel sitzen und sich über den Canal Grande fahren lassen.«
»Du hast wohl wirklich mit dem Thema Männer abgeschlossen, was?«, stelle ich schmunzelnd fest, während ich eine Olive esse und einen Schluck Rotwein trinke. Allein schon wegen der mediterranen Küche sollte man in Italien leben! »Gib es ruhig zu. Du bist doch bloß neidisch auf all diese Paare. Du wirst sehen. Eines Tages findest du jemanden, der perfekt zu dir passt. Irgendeinen unkonventionellen Mann, der es toll findet, mit einer so unkonventionellen Frau wie dir zusammen zu sein. Dann könnt ihr mindestens ebenso unkonventionell Urlaub machen. Ihr könntet zum Beispiel anstelle einer Gondel mit einem Faltboot über den Canal Grande schippern. Oder ihr baut euch ein Floß aus Bananenkisten, oder was weiß denn ich.«
»Mit Bananenkisten würden wir garantiert untergehen«, sagt Nele lachend, »aber das würde wiederum passen. Diese Form von Untergang wäre dann sozusagen symbolisch.«
Am nächsten Morgen ist Birgit Stade zu uns zum Frühstück eingeladen, weshalb ich eine Stunde früher aufstehen muss als sonst. Völlig übermüdet, weil Nele und ich die Nacht zum Tag gemacht und weiter über unseren Italien-Urlaub phantasiert haben, greife ich nach dem Wecker, um dem lästigen Piepsen ein Ende zu setzen. Timo steckt seine Hundeschnauze durch den Türspalt, und ich bete inständig darum, dass ich jetzt nicht auch noch mit ihm Gassi gehen muss. Schade, dass Paula noch so klein ist, sonst hätte man sie gelegentlich als Hundesitterin engagieren können.
Ich richte mich vorsichtig auf und stelle fest, dass ich einen Kater habe. Kein Wunder. Im Laufe des Abends waren Nele und ich so berauscht von dem Gedanken an Italien und so beglückt darüber, dass wir endlich wieder Zeit füreinander haben, dass wir insgesamt zwei Flaschen Rotwein getrunken haben. O nein, stöhne ich und überlege, ob Bea wohl Aspirin im Haus hat. Wenigstens ist mir nicht übel. Doch meine Glieder fühlen sich an wie Blei, und ich möchte mich am liebsten umdrehen, mir die Decke über den Kopf ziehen und bis zum Nachmittag durchschlafen. Wieso mussten wir auch derart über die Stränge schlagen?, frage ich mich, während Timo aufgibt und wieder nach unten trottet.
Was Nele und ich in den frühen Morgenstunden besprochen haben, weiß ich schon fast gar nicht mehr. Ich habe nur noch dunkel in Erinnerung, dass meine Freundin zu guter Letzt Marco kennenlernen wollte, nachdem ich zuvor Stein und Bein geschworen hatte, nicht in ihn verliebt zu sein. Und dass ich ihre Idee mehr als blöd fand, auch wenn ich kein Interesse an dem Italiener habe. Aber die Vorstellung, dass irgendwie und irgendwann
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