Inselzauber
derselbe Mann eine Rolle in meinem Leben und in dem meiner Freundin spielen könnte, behagte mir zu diesem Zeitpunkt nicht und tut es auch jetzt nicht.
Immerhin haben Marco und ich uns geküsst.
Und ich küsse nicht jeden!
»Tut mir leid, Nele. Bei aller Freundschaft. Wenn es jemals dazu käme, dass sich derselbe Mann, in welcher Reihenfolge auch immer, für uns beide interessiert, dann müsste er verschwinden, und zwar aus unser beider Leben«, sagte ich energisch, warf eine Olive in die Luft und versuchte sie mit dem Mund aufzufangen. Was mir erstaunlicherweise auch gelang.
Nele sah mich daraufhin, soweit ich mich erinnere, leicht pikiert an, was ich allerdings auf die Wirkung des Weins zurückführte. »Das würde ja bedeuten, dass du niemals mit …«
Wie dieser Satz vollständig hätte lauten müssen, habe ich in der Nacht nicht mehr erfahren, weil auf einmal mein Handy piepste und wir unbedingt wissen wollten, wer mir um diese Uhrzeit (es war 2.00 Uhr!) schrieb. Die Nachricht stammte merkwürdigerweise von Leon, auch er fand wohl keinen Schlaf. Was an der Tatsache gelegen haben mag, dass wir zu später Stunde lautstark Adriano Celentano gehört und mitgesungen haben.
»Friede?«, lautete die knappe Frage, die ich umgehend mit »Sehr gern« beantwortete, weil mir nie daran gelegen war, mich mit Leon zu streiten.
»So, so, dann schreibt mein Nachbar dir also mitten in der Nacht eine SMS ?«, merkte Nele verwundert an und setzte erneut eine unergründliche Miene auf.
Dann feierten wir bis 3.00 Uhr weiter.
»Ich kann heute nicht arbeiten«, jammere ich voller Selbstmitleid und verfluche die Tatsache, dass meine Kollegin ausgerechnet heute hier frühstücken will.
Es nützt nichts, ermahne ich mich zehn Minuten später und ziehe vorsichtig die Vorhänge beiseite. Ein strahlender Sonnentag erwacht über Sylt und lässt den Wind durch die grünen Blätter rauschen wie ein leises Murmeln. Ich beschließe, mich zusammenzureißen. Schließlich hat Birgit Stade angekündigt, dass sie etwas Wichtiges mit Bea und mir zu besprechen hat. Und darauf bin ich natürlich neugierig.
»So, so«, kommentiert Tante Bea eine halbe Stunde später Frau Stades Eröffnung, sie könne künftig nicht mehr so viel wie sonst in der Buchhandlung arbeiten. Nachdenklich rührt sie mit ihrem Löffel in der Tasse herum und sieht für einen Moment sehr müde und blass aus.
Kein Wunder, denke ich und gieße mir noch etwas Orangensaft nach, um meinem Körper wenigstens ein paar Vitamine zuzuführen.
»Das bedeutet kurzfristig, dass wir eine weitere Aushilfe für drei Vormittage brauchen. Lisa wird das nicht schaffen, so wie ich ihre terminliche Situation einschätze. Wir müssen also jemand anderen suchen. Aber das ist ja nicht das wirkliche Problem.«
Birgit Stade nickt und senkt dann den Kopf. Eine Geste, der ich entnehme, dass sie sehr wohl weiß, was ihre private Entscheidung für das Fortbestehen der Bücherkoje bedeutet.
»Das eigentliche Dilemma ist, ich muss jetzt davon ausgehen, dass Sie die Buchhandlung nicht übernehmen können, wenn ich mich einmal entschließen sollte, in Rente zu gehen.«
Mit einem Schlag bin ich hellwach!
Zunächst habe ich in meiner Katerstimmung nicht das vollständige Ausmaß der Entscheidung unserer ersten Sortimenterin ersehen. Sie hat uns mitgeteilt, dass sie künftig ihrer Tochter Carola helfen müsse, die im vierten Monat ihrer Schwangerschaft einen Projektauftrag für das maritime Umwelt- und Erlebniszentrum bekommen hat, das gerade im Inselnorden entsteht.
Als ich mit Marco bei GOSCH war, haben wir uns nach dem Essen noch am Hafen von List die Infobox angesehen und uns gefreut, dass viel Geld in dieses schöne und sinnvolle Projekt investiert wurde.
Die Tochter meiner Kollegin ist Meeresbiologin und hat nun die Gelegenheit, in diesem Zentrum mitzuarbeiten. Die Grundidee besteht darin, Interessierten auf zweitausend Quadratmetern Grundfläche die Geheimnisse der Nordsee, ihrer Pflanzen- und Tierwelt nahezubringen.
Carola, überglücklich, nach zwei Fehlgeburten wieder schwanger zu sein, hat das Angebot über einen Kollegen ihres Mannes bekommen, der für die Wattenmeerstation Sylt tätig ist. Diese wiederum entwickelt das Projekt in enger Zusammenarbeit mit den Betreibern des Zentrums.
»Ich weiß, dass ich Ihre Pläne durcheinanderbringe«, antwortet Birgit Stade und spielt verlegen mit ihrer Tasse. »Aber Carola ist so glücklich, weil die Ärzte ihr Hoffnungen gemacht haben, dass
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