Inselzauber
in letzter Zeit ebenfalls ziemlich selten gesehen.
Das Interieur des traditionellen Fischlokals ist gemütlich wie eh und je, und ich erinnere mich an so manche Abende, die ich als Kind zusammen mit Bea und Knut hier verbracht habe.
Wir nehmen auf hellblau gestrichenen Holzstühlen Platz, die im Farbton zu den Fenster- und Türrahmen passen. Auch die alten friesischen Kacheln sind in diesem Farbton gehalten und verleihen dem Restaurant mit ihrem nostalgischen Dekor Charme und Behaglichkeit. An der Wand hängt ein riesiger blauer Fisch aus Metall. Als Kind habe ich mir immer vorgestellt, wie schön es sein müsste, ihn aufs Wasser zu setzen und als eine Art Luftmatratze zu benutzen.
Wir bestellen die Spezialitäten des Hauses: Gulasch vom Seeteufel, Labskaus, Steinbutt und eine kleine gemischte Fischpfanne.
»Zuerst die gute Nachricht«, bittet Vero, was ganz ihrem Naturell entspricht. »Wenn ich schon mal bei eurem geheimen Zirkel dabei sein darf, möchte ich wenigstens zum Einstieg etwas Positives hören.«
»In Ordnung. Nele und ich waren also bei der Bank, wie ihr wisst, und Frank Degenhard ist völlig begeistert von unserem Konzept. Er findet alles stimmig, realistisch kalkuliert und begrüßt es auch von Seiten der Sylter Sparkasse, mit diesem Projekt ein kleines kulturelles Gegengewicht zu dem zu schaffen, was in Kampen passiert. Schließlich verfügt unser Dorf über eine lange Tradition von Goldschmiedekunst, Töpfer- und Kunsthandwerk. Das haben wir alles in unser Konzept einbezogen, indem wir hiesigen Künstlern dauerhaft Ausstellungsmöglichkeiten geben und Veranstaltungen mit ihnen durchführen möchten.«
»Was gefällt ihm dann nicht, wenn alles so toll ist?«, werfe ich ein und bestreiche ein Stück Baguette mit frischem Gänseschmalz.
»Im Prinzip stört ihn nur, dass er eine weitere Sicherheit von uns braucht. Trotz des stimmigen Businessplans. Oder einen zusätzlichen Einschuss in das Eigenkapital des Büchernests, das dann als eigene Gesellschaft fungiert. Es gibt neue Bestimmungen, Basel 2 genannt, die einen Mindestprozentsatz als Eigenkapital vorschreiben. Genau da liegt das Problem.«
Ich nicke, denn ich kenne das Thema nur zu gut aus der Hotelbranche.
»Das Kapitänshaus allein reicht nicht als Sicherheit. Selbst wenn man Beas Jeep und meine Klapperkiste mit in den Topf nimmt, hat die Bank Bedenken«, erklärt Nele.
»Wie hoch ist denn der Betrag, der euch noch fehlt?«, fragt Vero, und ich habe den leisen Verdacht, dass sie gleich ihren Hof als Sicherheit anbieten wird, gutmütig und hilfsbereit, wie sie ist.
»Fünfzigtausend Euro«, antworten Nele und Bea im Chor.
Ich verschlucke mich fast an meinem Baguette, und auch Vero wird ganz blass im Gesicht.
Für einen Moment herrscht Schweigen am Tisch. Mit dieser Summe ist im Prinzip klar, dass das Projekt Büchernest gestorben ist.
»Kann man nicht noch eine andere Bank mit ins Boot holen?«, frage ich, bemüht, eine Lösung für das Problem zu finden. »Was ist mit der Westerland Bank?«
»Das funktioniert nicht, das hat Ralf schon geprüft«, antwortet Bea und sieht mich traurig an. Wie sehr sie doch mittlerweile an dieser Idee hängt, stelle ich fest und streichle kurz ihren Handrücken.
»Würde es euch denn helfen, wenn ich den Hof als Sicherheit anböte?«, schlägt Vero tatsächlich vor, worauf wir unisono mit einem entschiedenen »Nein« antworten.
»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, sagt Bea energisch und sieht ihre Freundin streng an. »Ich weiß, dass du eine Seele von Mensch bist und dass ich immer auf dich zählen kann, wenn Not am Mann ist. Aber dies ist kein wirklicher Notfall, sondern nur eine Idee, die zwar schön ist, aber offensichtlich nicht ganz leicht zu realisieren. Ihr kennt mich, so schnell gebe ich nicht auf. Schließlich wollen wir in erster Linie das Möwennest retten, und dafür wird uns schon eine Lösung einfallen. Ich schlage vor, dass wir für heute das Thema ruhenlassen und jetzt das köstliche Essen genießen. Wir haben in den vergangenen Wochen genug gegrübelt und gearbeitet, jetzt haben wir uns als Belohnung einen schönen Abend verdient!«
Der Abend wird in der Tat schön, sehr schön sogar, und als wir zu später Stunde auf die Gartenterrasse treten, in deren Mitte ein Brunnen gemütlich vor sich hin plätschert, und ich den würzigen Duft von Ulmenblättern und Kastanienblüten einatme, habe ich auf einmal eine Idee.
»Ich möchte gern Stefan Koch sprechen«, sage ich und bin
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