Inselzauber
und Leon dort so lange treiben. So leise wie möglich gehe ich die Treppe nach oben, betrete Neles Zimmer und kann kaum glauben, was ich da sehe: Meine Freundin liegt schluchzend in den Armen des Mannes, in den ich mich verliebt habe. Leon streichelt ihr über den Kopf und murmelt tröstende Worte.
Die Szene ist derart innig, und die beiden wirken so vertraut miteinander, dass es mir für einen Moment den Boden unter den Füßen wegzieht. Gerade als ich unbemerkt den Rückzug antreten will, vibriert mein Handy in der Hosentasche. Es ist Marina Rinaldi.
»Hallo, Frau Wagner, schön, dass ich Sie erreiche«, sagt sie, und ich gehe mitsamt Telefon wieder die Treppe hinunter.
Leon und Nele haben nicht bemerkt, dass ich sie beobachtet habe, und das soll auch so bleiben.
»Frau Wagner, ich freue mich, Ihnen die gute Nachricht übermitteln zu können, dass die Geschäftsleitung sich entschieden hat, Ihnen die Position als Pressereferentin anzubieten.«
Ich nehme die Information wahr und bleibe seltsam unberührt. Da warte ich nun seit Tagen auf diesen Anruf und kann mich nun überhaupt nicht über meinen Erfolg freuen.
»Frau Wagner, sind Sie noch dran?«, erkundigt sich Marina Rinaldi.
Ich bejahe. Mechanisch bedanke ich mich für die Zusage und bespreche mit ihr wie in Trance die notwendigen weiteren Schritte. Nachdem wir das Gespräch beendet haben, setze ich mich auf die Couch, die Blairwitch mittlerweile okkupiert hat. Da wird sich Bea aber freuen, wenn sie die Katzenhaare auf ihrem Sofa sieht, denke ich, während sich zeitgleich alles um mich dreht.
In diesem Moment kommen Leon und Nele die Treppe herunter und benehmen sich so, als sei nichts Ungewöhnliches passiert. Ich beäuge die beiden misstrauisch und suche nach weiteren Anzeichen von Vertraulichkeit, kann jedoch nichts entdecken. Leon mustert mich kurz, wie ich da auf dem Sofa sitze: zusammengesunken, das Handy immer noch aufgeklappt in der Hand.
»Schlechte Nachrichten?«, erkundigt er sich besorgt.
Ich nicke. »Ja«, antworte ich. »Ich habe die Zusage aus Mailand bekommen.«
»Das nennst du eine schlechte Nachricht?«, kommentiert Nele die neuesten Ereignisse und fällt mir um den Hals. »Aber das ist doch toll, herzlichen Glückwunsch!«, ruft sie euphorisch – keine Spur mehr von verzweifeltem Weinen – und eilt in die Küche.
Bestimmt köpft sie dort die Flasche Prosecco, die ich für den heutigen Abend kalt gestellt hatte, um ihren Einzug im Kapitänshaus zu feiern. Nur ist mir momentan nicht mehr nach Feiern zumute, sondern eher danach, hier wegzukommen und mich umgehend in das nächste Flugzeug nach Mailand zu setzen.
»Oh, dann gehst du also wirklich«, murmelt Leon und schafft es kaum, mich anzusehen.
Ich nicke wortlos und nehme das Glas Prosecco entgegen, das Nele mir reicht.
»Also dann, auf Italien«, sagt Leon und prostet mir zu.
»Auf Italien«, antworte ich fast tonlos und leere mein Glas in einem Zug.
»Das ist ja wundervoll«, sagt Bea später am Abend, als sie aus der Bücherkoje zurück ist und ich ihr von der Zusage erzähle.
Als Timo Blairwitch bemerkt, versteckt sich die Katze fauchend unter dem Sofa, beäugt von dem Hund, der misstrauisch um das Möbelstück herumschnüffelt.
Nele ist mittlerweile wieder oben in ihrem Zimmer und beschallt das Haus mit den Klängen von Coldplay. Doch so gern ich diese Band sonst mag – heute nervt mich die Musik. Und zwar richtig! Aber wenn ich ehrlich bin, stört mich nicht nur die Musik, sondern auch die Anwesenheit meiner Freundin, auf die ich mich noch bis vor ein paar Stunden so sehr gefreut habe.
Der Gedanke daran, dass wir nun quasi Zimmernachbarinnen sind und viel mehr Zeit miteinander verbringen können, hat mir in den vergangenen Tagen viel Freude bereitet. Ich habe uns schon im Geiste nachts bei Kerzenschein in ihrem Zimmer sitzen und ihr endlich von meiner neu entdeckten Liebe zu Leon erzählen sehen. Wie gut, dass ich es bislang nicht getan habe.
»Na, dann hat sich ja endlich alles zum Guten gewendet«, kommentiert Bea meine Zukunftsaussichten. »Ich habe übrigens noch eine gute Nachricht für dich: Stefan hat das Geld auf das Konto von Christian Weber überwiesen. Und zwar nicht nur die ursprünglich verlangte Summe, sondern sechzigtausend Euro. Wie findest du das? Ist das nicht wundervoll? Ich werde gleich morgen früh Frank Degenhard anrufen«, sagt sie, und ich sehe ihr an, wie sehr sie sich freut.
»O ja, das ist toll«, antworte ich lahm und spüre Ärger in
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