Inselzauber
lauschigen, kleinen Ristorante essen. Die Terrasse lag über den Dächern von Mailand, umrankt von Töpfen mit würzig duftendem Oleander, und als der Mond aufging, dachte ich, dass genau SO das Paradies sein müsse.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Marco lächelnd und streichelte dabei zart meinen Arm. »Meinst du, du könntest dich an ein Leben hier gewöhnen? Und dir mich als den Mann an deiner Seite vorstellen?«
Für einen Moment war ich sprachlos und kurz geneigt, mich der Romantik des Augenblicks hinzugeben. Doch so wunderbar ich es fand, hier mit Marco zu sitzen, so sehr spürte ich auch, dass ich nicht mit dem Herzen dabei war. Wo auch immer es sich versteckt hielt – in Italien war es auf alle Fälle nicht. Ich zögerte einen Moment, entschloss mich dann jedoch, die Wahrheit zu sagen. Alles andere wäre unfair gewesen. Zu meiner großen Erleichterung nahm Marco es einigermaßen gelassen oder ließ sich seine Enttäuschung zumindest nicht anmerken.
Auf dem Weg zurück zum Hotel kamen wir an einem Brunnen vorbei, dessen Wasser im Mondlicht verführerisch glitzerte. Unwillkürlich musste ich an die Szene in Fellinis
La dolce vita
denken, in der Anita Ekberg in den Brunnen steigt und nackt darin badet. Ich war zwar nicht nackt, aber ich zog mir die Schuhe aus, ermutigt von Marco, der meine Gedanken zu lesen schien und sich die Hose hochkrempelte. Sekunden später standen wir im kalten Wasser und blickten in den Sternenhimmel. Wenn ich die Zeit hätte anhalten können, ich hätte es getan. Denn solche Augenblicke sind für die Ewigkeit …
»Jetzt erzähl mir bloß nicht, dass du nach diesem romantischen Bad im Brunnen nicht doch noch schwach geworden bist«, sagt Nele und sieht mich erwartungsvoll an, als ich meine Schilderung des Mailand-Aufenthalts beendet habe.
»Tut mir leid, dich wieder enttäuschen zu müssen«, antworte ich. »Ich bin nicht schwach geworden, wie du es nennst, weil ich Marco wirklich nur nett finde, weiter nichts. Aber mir ist etwas anderes, viel Wichtigeres klar geworden«, fahre ich fort, bereit, meine Freundin in mein Geheimnis einzuweihen.
Doch Nele ist noch zu sehr damit beschäftigt, die Information zu verdauen, dass ich mir eine so tolle Chance wie eine Affäre mit Marco habe entgehen lassen. Wie soll ich meiner Freundin jemals klarmachen, dass sich ein ganz anderer Mann langsam, dafür aber umso nachhaltiger in mein Herz geschlichen hat?
»Okay, wenn du also schon Marco in den Wind geschossen hast, was ist dann aus dem Hoteljob geworden?«, erkundigt sich Nele und sieht mich fragend an.
»Nett, dass du fragst«, antworte ich grinsend. »Wenn ich mich recht erinnere, war ich eigentlich wegen eines Vorstellungsgesprächs in Mailand und nicht wegen einer Romanze. Also, um es kurz zu machen: Ich hätte den Job sehr gern und hoffe, dass ich ihn auch bekomme.«
»Oh«, antwortet sie und wirkt noch enttäuschter als vorher. »Wie es aussieht, gehst du also wirklich nach Italien. Irgendwie hatte ich gehofft, dass das Hotel in Wirklichkeit ein total morbider Kasten ist, in dem es spukt. Oder dass diese Marina Rinaldi sich als Drache entpuppt. Oder dass du dort rund um die Uhr für ein Minigehalt arbeiten musst.«
»Nein«, antworte ich lachend. »Es gibt kein D’Angelo-Gespenst, Marina Rinaldi ist eine ausgesprochen entzückende Personalchefin, die Arbeitszeiten sind moderat, und die Bezahlung ist ehrlich gesagt mehr als gut. Natürlich gibt es mehrere Bewerberinnen, die in Frage kommen. Ich bin mit drei weiteren Kandidatinnen in der Schlussrunde.«
»Wann erfährst du, ob es klappt?«, fragt Nele und sieht aus, als wollte sie sich selbst am liebsten dort bewerben.
»Ich hoffe, bald. Marina Rinaldi will sich melden, sobald die Besitzer des Hotels ihre Entscheidung getroffen haben.«
»Na, dann hoffen wir mal das Beste«, murmelt meine Freundin.
Zwei Tage später ist es so weit: Nele und Blairwitch ziehen bei uns ein. Ole Hinrichs und seine Freunde laden das Hab und Gut meiner Freundin in einen Kleinlaster und transportieren es zum Kapitänshaus. Lisa übernimmt so lange das Möwennest, assistiert von Vero, denn heute ist ein Sonnentag und aller Voraussicht nach werden sämtliche Plätze vor dem Café besetzt sein. Ich werde von Bea vertreten, die Birgit Stade in der Bücherkoje zur Seite steht.
Am spannendsten finde ich die Frage, wie sich Timo und Blairwitch verstehen werden, denn trotz ihrer bisweilen friedlichen Koexistenz dringt nun die Katze in das Revier des Hundes
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