Inselzauber
mir aufsteigen. Schön, dass ich gerade Neles finanzielle Existenz gerettet habe und sie zeitgleich mit dem Mann herumturtelt, den ich liebe.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, erkundigt Bea sich und sieht mich besorgt an. »Wo sind die Luftsprünge? Wo bleibt dein ›Hurra, wir haben es geschafft‹?«
»Keine Ahnung«, murmle ich und schütze Unwohlsein vor. Ich behaupte, dass mich der Umzug vollkommen erschöpft habe und ich jetzt dringend ins Bett müsse. Ich will auch wirklich nichts weiter, als mir die Decke über den Kopf ziehen und schlafen – vorausgesetzt, Nele hat Erbarmen mit mir und stellt die Musik leiser.
Während ich die Treppe hinaufgehe, nehme ich aus den Augenwinkeln wahr, dass Blairwitch sich unter dem Sofa herausgetraut hat und nun Timo gegenübersitzt. Die beiden funkeln sich sprichwörtlich an wie Hund und Katz. Ich muss mich sehr zusammenreißen, um nicht Nele und mich als ebensolche Gegner zu sehen.
Oben angekommen, öffnet meine Freundin just in dem Moment ihre Zimmertür, als ich ins Badezimmer gehen will.
»Sieh mal, ist doch ganz süß geworden, oder nicht?«, fragt sie und weist stolz in das Innere ihres neuen Zuhauses. »Bin ich froh, dass Leon mir geholfen hat, die Anlage und den Fernseher anzuschließen«, sagt sie.
Mein Blick wandert durch das Zimmer, in dem einst Onkel Knut gelebt hat. Seine ehemaligen Segelschiffmodelle und die gerahmten Seekarten sind durch Neles Bilder ersetzt. Der dunkelbraune Ledersessel ist auf den Dachboden verbannt, stattdessen thront dort nun Neles großer Korbstuhl.
»Gemütlich«, kommentiere ich die Veränderungen und hoffe, dass meine Freundin mich möglichst schnell in Ruhe lässt.
»Was ist denn nur los mit dir?«, fragt sie und sieht mich verwundert an. »Irgendwie habe ich den Eindruck, es gefällt dir plötzlich gar nicht mehr, dass ich hier wohne«, fährt sie fort.
Rasch überlege ich, wie ich reagieren soll. Ich beschließe, ihre Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten, und erkundige mich nach dem Grund für ihren Tränenausbruch, dessen Zeugin ich geworden bin.
»Ich hab gar nicht bemerkt, dass du im Zimmer warst«, erwidert Nele erstaunt, wirkt jedoch überhaupt nicht, als hätte ich sie bei irgendetwas ertappt. »Wieso bist du denn nicht reingekommen?«, bohrt sie weiter, ohne meine Frage zu beantworten.
»Ich wollte euch nicht stören«, antworte ich. »Ihr habt so vertraut gewirkt.«
»Ach, du meinst unsere Umarmung«, lacht sie und macht eine abwehrende Handbewegung. »Ich hatte mal wieder einen meinen kleinen Nervenzusammenbrüche, weil ich so kaputt war vom Umzug und dieser Renoviererei. Und weil ich immer noch Angst habe, was nun aus mir und dem Möwennest wird. Als ich mir dann auch noch beim Aufhängen eines der Bilder mit dem Hammer auf den Daumen geschlagen habe, war es endgültig aus. Nett, wie Leon nun mal so ist, hat er mich eben in den Arm genommen und getröstet. Ist doch nichts dabei, oder? Es ist auch nicht das erste Mal, dass er das gemacht hat. Schließlich ist er mein Nachbar. Na ja, mein ehemaliger Nachbar, muss ich jetzt wohl sagen.«
»Was meinst du damit, dass er das nicht zum ersten Mal gemacht hat?«, frage ich, nun noch misstrauischer als zuvor.
Nele antwortet ohne jede Ahnung davon, welchen Hintergrund meine Frage hat. »Na ja, in letzter Zeit nicht mehr. Zuletzt glaube ich im Dezember, als wir uns gegenseitig über unseren Kummer hinweggeholfen haben. Er hatte gerade Stress mit Julia, und ich hatte Panikattacken wegen des Möwennests. Irgendwie – genau weiß ich auch nicht mehr, wie es passiert ist – haben wir dann eines Abends, nach zwei Flaschen Wein, etwas miteinander angefangen.«
Bei diesen Worten bleibt mir beinahe das Herz stehen. Meine beste Freundin und Leon haben miteinander geschlafen? In diesem Moment fällt es mir wie Schuppen von den Augen: die laute Musik, die zu unserem ersten Zusammentreffen im Möwennest geführt hat, und meine Frage nach der Ursache für ihren Liebeskummer, die sie nie beantwortet hat. Neles zickige und zurückweisende Reaktion auf den Kuss, den Leon ihr gegeben hat, als er ihr zum Illustratorenvertrag gratulieren wollte. Leons unvollendeter Satz, als er von einer Unterbrechung in seiner Beziehung mit Julia erzählt hat. Neles Reaktion, als ich ihr klargemacht habe, dass es für mich nie in Frage komme, etwas mit jemandem anzufangen, der sich zu uns beiden hingezogen fühlt.
All das ergibt auf einmal Sinn!
Wieder dreht sich alles um mich, und ich schaffe
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