Inselzauber
in den einen oder anderen Titel hineingelesen. Allerdings freue ich mich schon auf die bevorstehenden Besuche der Verlagsvertreter, und zwar deutlich mehr als darauf, immer nur Briefmarken und die ewig gleichen Bestseller zu verkaufen. Momentan scheint alle Welt geradezu besessen von diesen Vatikanthrillern. Was liest du eigentlich gerade?«, frage ich Leon und sehe ihn gespannt an.
»Mein aktuelles Lieblingsbuch handelt von einem Wissenschaftler, der besessen ist von dem Gedanken, dass Jesus ein Verhältnis mit Maria Magdalena hatte. Er ist auf der Suche nach dem echten Turiner Grabtuch und begegnet ständig einem Mann, dessen Initialen den Namen des Teufels tragen. Auf der Flucht vor diesem Fremden gerät der Wissenschaftler in die Fänge einer mysteriösen Sekte, die Züge der Rosenkreuzer trägt, und entdeckt in einem Kloster ein geheimes Buch, das jeden sofort tötet, der es berührt.«
Leon mustert mich herausfordernd, und ich überlege, was ich antworten soll. Vorsichtshalber sage ich gar nichts, weil ich nicht weiß, wie ich wieder aus dem Fettnapf klettern soll, in den ich da gerade hineingefallen bin.
Ich muss wohl sehr erschüttert aussehen, denn plötzlich beginnt Leon zu lachen. »Das war ein SCHERZ , keine Sorge, du hast mich nicht beleidigt, falls du das jetzt denken solltest. Zur Entspannung lese ich solche Vatikanthriller auch gern, aber momentan fasziniert mich eher
Der Schatten des Windes
von Carlos Ruiz Zafón. Ein opulenter Schmöker vor der Kulisse Barcelonas. Darin geht es um das mysteriöse Verschwinden eines geheimnisvollen Buches, um Freundschaft und die Suche nach der wahren Liebe.«
Das klingt spannend, finde ich, und beschließe, umgehend nachzusehen, ob wir den Titel am Lager haben. Dabei fällt mir siedend heiß ein, dass ich Frau Stade nichts davon gesagt habe, dass ich so lange wegbleibe. Inzwischen ist es bereits Mittag, und sie ist ganz allein in der Buchhandlung.
»Tut mir furchtbar leid, aber ich muss los«, sage ich, springe auf und suche nach meiner Tasche. Dabei fällt mir ein, dass ich sie nicht dabeihabe, weil ich gar nicht geplant hatte, mich weiter als zehn Meter von der Bücherkoje zu entfernen.
Leon sieht mich irritiert an und erhebt sich ebenfalls.
»Das ist mir jetzt sehr unangenehm, aber könntest du bitte meinen Tee und die Waffeln übernehmen? Ich habe mein Portemonnaie in der Bücherkoje gelassen. Komm doch einfach gleich mit, dann gebe ich dir dort das Geld.«
Leon zahlt wortlos und schüttelt den Kopf, so als wolle er sagen: Diese Großstädter, sie sind immer so hektisch.
Zehn Minuten später stehen wir in der Bücherkoje, wo bereits die leicht aufgebrachte Frau Stade wartet.
»Um Himmels willen, wo waren Sie denn so lange?«, fragt sie mich vorwurfsvoll. »Können Sie nicht Bescheid geben, bevor Sie einfach so mir nichts, dir nichts verschwinden? Man macht sich schließlich Sorgen!«
»Aber Frau Stade, was soll mir denn hier schon passieren?«, erwidere ich lachend und versuche dadurch die Situation zu entschärfen. Wie peinlich! »Ich habe doch keine nächtliche Wattwanderung ohne Führung unternommen. Aber entschuldigen Sie, ich hätte wirklich Bescheid geben sollen, da haben Sie völlig recht. Mir ist da spontan etwas dazwischengekommen. Wird nicht wieder passieren. Machen Sie erst mal Pause, ich bin ja jetzt da!«
Bei dem Wort »dazwischengekommen« merke ich, wie Birgit Stades Blick von Leon zu mir wandert, der aber gar nicht bemerkt, wie aufmerksam er taxiert wird, so beschäftigt ist er damit, seinen Pressespiegel zusammenzustellen, den er am Morgen noch nicht abgeholt hat.
»Jetzt ist ja wieder alles in Ordnung, Frau Stade. Lissy ist zurück«, sagt er, zwinkert mir verschwörerisch zu und verlässt die Bücherkoje.
Den Rest des Tages verbringe ich damit, mir die vorrätigen Titel in Ruhe etwas genauer anzusehen und über diese merkwürdige Nele nachzudenken. Gott sei Dank hat sie wenigstens die Musik leiser gedreht.
»Leon scheint ganz nett zu sein, findest du nicht auch?«, befrage ich Timo beim Abendspaziergang. Allerdings interessiert sich der Berner Sennhund viel mehr für eine junge Labradorhundedame als für mein Geschwafel. »Lad sie doch zum Essen ein, wenn sie dir so gut gefällt«, schlage ich ihm vor, als er vollkommen betört um das Weibchen herumscharwenzelt und sich kaum von ihr lösen kann. »Frag sie, ob sie Pansen mag«, lästere ich weiter und schüttle mich gleichzeitig innerlich bei diesem Gedanken. Ich bin froh, dass
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