Inselzauber
kochen, ist vermutlich auch dazu fähig, Exkremente von Schafen und Kühen ökologisch korrekt zu verwerten.
»Nu gib mal die Kanne her«, sagt Ole amüsiert und befreit mich damit netterweise von meinen Zweifeln. »Du hast dich als Kind schon immer so vereimern lassen, und ich wollte nur mal sehen, ob’s immer noch klappt«, erklärt er.
Nach und nach entfacht er jeden Ofen im Haus. Ich folge ihm artig, lasse mir jeden Handgriff erklären und kann nach dieser Demonstration beruhigt in die Bücherkoje fahren.
Als ich dort ankomme, sehe ich als Erstes die Rückenansicht einer rothaarigen Frau, die gerade bei Frau Stade eine Zeitschrift bezahlt. Mist, ich bin schon wieder zu spät … Als sich die Kundin umdreht, blicke ich direkt in das Gesicht von Nele Sievers.
Sie mustert mich spöttisch und sagt dann zu Frau Stade: »Da ist sie ja endlich. Scheint sich nicht richtig an die Arbeitszeiten halten zu wollen, die Gute. Was wohl Bea dazu sagen würde, wenn sie wüsste, dass ihre Nichte ab und zu einfach verschwindet, ohne Bescheid zu sagen, und morgens erst dann hier auftaucht, wenn sie ausgeschlafen hat.« Mit diesen Worten macht sie auf dem Absatz kehrt und rauscht mit ihrem langen, bunten Wollmantel, der aussieht wie ein Flickenteppich, aus der Buchhandlung.
Ich bin sauer. Richtig sauer, und das aus zwei Gründen. Erstens wegen der dummen Anmache und zweitens, weil Frau Stade offensichtlich über mich gelästert hat, sonst wüsste Nele nichts von dem Kaffee mit Leon. Na toll, denke ich verärgert. Kaum ist Bea weg, beginnen auch schon die Probleme.
Allerdings beschließe ich, mich nicht unterkriegen zu lassen, Birgit Stade gegenüber ein Pokerface aufzusetzen und sie gar nicht erst auf die Idee zu bringen, ihr Getratsche oder das Verhalten dieser durchgeknallten Nele machten irgendwie Eindruck auf mich. Ich erkläre kurz und knapp, dass ich ein Problem mit der Heizung hatte, und mache mich daran, die Inventurlisten vorzubereiten und die Remittenden herauszusuchen. Während ich alle Bücher aus den Regalen nehme, die an die Verlage zurückgeschickt werden sollen, betritt Leon die Buchhandlung.
»Was machst du eigentlich morgen Abend?«, erkundigt er sich, nachdem er seine Zeitungen zusammengesucht hat.
Da ist es wieder – das blöde Thema Jahreswechsel! »Nichts Besonderes«, antworte ich. »Ich bin ganz froh, wenn ich mal ein wenig allein sein kann. Dieses Jahr hat einige Veränderungen mit sich gebracht, und ich will den Jahreswechsel dazu nutzen, mir ein paar Gedanken darüber zu machen, was ich mit mir und meinem Leben anfangen will«, erläutere ich meine Pläne, höre aber selbst, dass ich ein wenig unsicher klinge.
»Gedanken kannst du dir später immer noch machen«, entgegnet Leon und sieht mich intensiv an. »Ein paar Kollegen aus der Redaktion feiern im Samoa-Seepferdchen. Hast du nicht Lust, mitzukommen?«
Ich gerate kurz ins Schwanken. Vielleicht ist das tatsächlich netter, als alleine zu Hause zu sein, wo mir mit Sicherheit spätestens kurz vor Mitternacht die Decke auf den Kopf fallen wird. Außerdem ist das Samoa-Seepferdchen eines meiner Lieblingsrestaurants auf der Insel. Eine Bretterbude inmitten der Dünen am Strand, aber nicht so überdreht wie das bekanntere Schwesterrestaurant namens Sansibar.
»Komm schon, sag ja«, insistiert Leon. »Nele ist auch mit von der Partie. Du wirst sehen, das wird lustig! Wir wollen um zehn los. Ich hole dich ab und bringe dich anschließend wieder nach Hause, versprochen. Timo kann übrigens auch mitkommen, damit haben die dort kein Problem.«
Ich überlege, aber nur kurz. Diese widerliche Nele kommt auch? Dann ist es ja keine Frage, dass ich stattdessen doch lieber allein bleibe, mir irgendeinen dummen Film anschaue und mit mir selbst Fondue esse. Oder mit Hilfe von Beas Tarotkarten einen Blick in meine unmittelbare Zukunft werfe.
»Das ist ganz lieb, Leon, und ich weiß dein Angebot wirklich sehr zu schätzen. Aber ich bin dieses Jahr einfach nicht in Partystimmung und möchte niemandem die Laune verderben. Ich wünsche dir viel Spaß und freue mich, wenn du mir später erzählst, wie es war«, antworte ich einen Tick energischer, als mir lieb ist.
Leon akzeptiert offensichtlich, dass er keine Chance hat. »Okay, dann rufe ich dich am nächsten Tag an. Vielleicht können wir ja mit Timo einen Spaziergang machen und beim Neujahrsnacktbaden in Westerland zusehen.«
Ich lächle kurz, und er verlässt die Bücherkoje, um in die Redaktion zu
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