Inselzauber
Timo aus gesundheitlichen Gründen fast ausschließlich Trockenfutter bekommt. Das fehlte mir gerade noch, dass ich mich in die Küche stelle, stinkenden Pansen koche, im Esszimmer eine Decke ausbreite, Kerzen aufstelle und romantische Klaviermusik auflege, um dem jungen Hundeglück so rasch wie möglich auf die Pfoten zu helfen. Aber eine romantische Geschichte wäre es schon, denke ich seufzend und frage mich gleichzeitig, wann und vor allem ob ich in meinem Leben jemals wieder Romantik werde erleben dürfen …
Zu Hause angekommen, beschließe ich, einen Wellness-Abend einzulegen, nehme ein heißes Bad, gönne mir ein Körperpeeling und trage eine Honigmaske auf, um meine von Wind und Kälte gerötete und trockene Haut zu beruhigen. Am Wannenrand habe ich Kerzen aufgestellt, und während die Gesichtsmaske sowie eine Haarkur ihre Wirkung entfalten, nippe ich an einem Glas Prosecco, den ich noch in Beas Kühlschrank gefunden habe.
Wie es den beiden wohl geht?, frage ich mich und schrubbe mir den Rücken mit einer Massagebürste. Allmählich könnten sie sich mal melden, um Bescheid zu geben, ob sie heil in Miami und auf ihrem Schiff gelandet sind! Wie aufs Stichwort vibriert mein Handy, das ich mit ins Badezimmer genommen habe.
Sind auf der »Columbus«, haben eine tolle Kabine und jede Menge Spaß. Nehmen jetzt Kurs auf Acapulco. Freuen uns auf Margaritas und Tortillas. Melden uns in ein paar Tagen. Küsse für dich und Timo, Bea und Vero.
Gott sei Dank, denke ich und schrubbe nun Ellbogen und Knie, die ich nachher mit meinem »Magic Oil« verwöhnen möchte. Timo, der mittlerweile ins Bad getrottet ist, beobachtet das Geschehen interessiert.
»Ich soll dich schön von Bea grüßen«, teile ich dem Hund mit, der aussieht, als hätte er schweren Liebeskummer. Irgendwie wirken seine braunen Hundeaugen noch trauriger als sonst. »Ich werde morgen exakt zur selben Zeit an dieselbe Stelle mit dir gehen. Dort triffst du die Dame deines Herzens bestimmt«, verspreche ich Timo und habe den Eindruck, dass sich das Dunkle seiner Augen ein wenig aufhellt.
Eingemummelt in meinen dicken Frotteebademantel und mit Wollsocken an den Füßen, kuschle ich mich ein paar Minuten später ins Bett und versuche zu lesen. Doch irgendwie kann ich mich nicht so recht konzentrieren. Seit Bea und Vero weg sind, ist es hier ungewohnt fremd und einsam für mich. Bis auf ein gelegentliches Knacken der alten Holzdielen ist es absolut still im Haus – wie gut, dass ich nicht allzu ängstlich bin. Auch wenn ich gerade dabei bin, ein Buch von Charlotte Link zu lesen, das spannend und ziemlich gruselig ist.
Doch dann wandern meine Gedanken von der Heldin des Buches zu mir und meiner Situation. Merkwürdig, wie schnell sich so ein Leben ändern kann. Vor wenigen Monaten noch verlief alles in geregelten Bahnen. Ich hatte Stefan, ich hatte meinen Job im Hotel und wohnte in Hamburg. Als Bea mich fragte, ob ich ihr in der Buchhandlung aushelfen könne, rang ich anfangs mit mir, weil ich nicht so lange ohne Stefan sein wollte. Hätte ich damals geahnt, dass er mich betrügen und verlassen würde, hätte ich mir das schlechte Gewissen ihm gegenüber und die vielen Zankereien wegen dieses Themas sparen können. Im Nachhinein kommt es mir vor wie Hohn, dass Stefan sich überhaupt über meine Auszeit geärgert hat, wo er doch zu diesem Zeitpunkt schon längst ein Verhältnis mit Melanie hatte.
Beim Gedanken an meinen ehemaligen Freund legt sich Einsamkeit wie eine schwere Decke über mich. Sie drückt mich nieder, und ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Mühsam zwinge ich mich zu anderen, positiveren Gedanken. Was das kommende Jahr wohl bringen wird?, überlege ich, schließlich ist bald Silvester. Ich starre an die Decke, auf die das Mondlicht kleine Schatten malt.
Das erinnert mich an meine Kindheit, als mein Vater mit Hilfe seiner Hände lustige Tierfiguren als Silhouetten an die Wand geworfen und dann mit verstellter Stimme kleine Rollenspiele aufgeführt hat. Er spielte einen lispelnden Hasen, einen mutigen Adler, einen knuddeligen Bären und eine lahme Schildkröte, und ich konnte nicht genug von diesen Spielen bekommen. Eine schöne Erinnerung, die mir, solange ich lebe, keiner mehr nehmen kann. Ein beruhigendes Gefühl! Aber ebenfalls ein sehr einsames.
Ob ich mich weiter an Einsamkeit werde gewöhnen müssen?, frage ich mich, weil ich nicht weiß, wie es nach Sylt mit meinem Leben weitergehen wird. Werde ich mich in
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