Inselzauber
holländischen Bestsellerautors Leon de Winter trägt. Das passt ja gut zum Kulturressort!, denke ich.
»Da bin ich schon!«, keucht Nele, eine riesige, prall gefüllte Einkaufstüte im Arm. »Wartest du schon lange?«, erkundigt sie sich, während sie die Tür öffnet.
Nun bin ich aber gespannt, ob sich ihre Kreativität auch in der Gestaltung ihrer eigenen vier Wände niederschlägt. In der Tat – sie tut es! Die Wohnung ist zwar winzig klein, genau genommen besteht sie nur aus zwei Zimmern, von denen eines, das Atelier, auf der Galerie liegt und nur über eine Wendeltreppe zu erreichen ist. Die Wände sind alle farbig gestrichen und bilden so einen passenden Rahmen für die Bilder, die vermutlich aus Neles Feder oder besser Pinsel stammen. Verblüfft und beeindruckt betrachte ich die Kunstwerke, während die offenbar sehr begabte Künstlerin ihre Einkäufe in der Küche verstaut. Wunderschöne Akte und phantasievolle Stillleben offenbaren ein Bild von Nele, das ich nicht für möglich gehalten hätte. In dieser Frau scheint deutlich mehr zu stecken als die flippige Chaotin, als die sie sich selbst gern präsentiert.
»Sind die alle von dir?«, erkundige ich mich vorsichtig.
Nele antwortet mit einem knappen: »Wenn du willst, kannst du schon mal hoch ins Atelier gehen, ich komme gleich nach«, und verschwindet kurz, wahrscheinlich im Bad.
Zutiefst beeindruckt gehe ich nach oben und staune dort weiter. Auf knappem Raum stehen Skulpturen, lehnen stapelweise auf Leinwand gemalte Bilder an der Wand und sind zwei Staffeleien aufgestellt, auf denen bislang unvollendete Werke darauf warten, dass Nele Hand an sie legt. Auf dem Zeichentisch liegen Skizzen, die aussehen, als seien sie für ein Kinderbuch bestimmt. Vorsichtig, um nichts zu verwischen, nehme ich sie in die Hand, denn sie sind teils mit Kohle und teils mit etwas anderem gezeichnet, das ich nicht definieren kann.
»Das ist Pastellkreide«, klärt Nele mich auf und drückt mir ein Glas Rotwein in die Hand. »Hier, als Aperitif, bevor wir mit dem Essen beginnen.«
»Essen?«, frage ich verwirrt und habe gleichzeitig einen aromatischen Duft in der Nase, der aus der Küche nach oben zieht.
»Ja, Essen. Du weißt doch, was das ist? Es wird durch den Mund aufgenommen, rutscht dann über die Speiseröhre in den Magen hinunter, um Sekunden später ein wohltuendes Sättigungsgefühl zu erzeugen. In diesem speziellen Fall handelt es sich um eine Spinatquiche, die ich gerade in den Ofen geschoben habe. Dazu gibt es Tomatensalat und als Dessert Mousse au Chocolat. Klingt das gut?«
»Doch, durchaus«, stottere ich leicht verwirrt, weil mir nicht klar ist, wann Nele das alles gezaubert haben soll.
»Nun guck nicht wie ’ne Kuh, wenn’s donnert. Das habe ich aus dem Möwennest, war alles heute ein Teil des Mittagstisches. Ist aber trotzdem von mir selbst gekocht«, fügt sie hinzu, und ich habe den Eindruck, dass ihr diese Information wichtig ist.
Wow, was für eine Powerfrau, denke ich fast beschämt und betrachte weiter die Illustrationen. »Die sind wirklich toll! Wofür sind die gedacht? Hast du einen Auftrag von einem Kinderbuchverlag?«
»Nein, schön wär’s«, seufzt Nele und nimmt etwas aus der Schublade des Tisches. »Hier, guck mal. So soll es aussehen, wenn es fertig ist!«
Ich fasse es nicht! Was ich da in Händen halte, sieht aus wie ein richtiges Buch. Der Text ist gesetzt, das Layout ist komplett, und die Illustrationen sind genau dort, wo sie sein sollen. Alles ist auf gutem Papier gedruckt und mit Fadenheftung gebunden. »Ich verstehe nicht ganz«, wundere ich mich. »Hast du das alles selbst gemacht? Auch geschrieben?«
»Ja. Diese Geschichte habe ich schon seit meiner Kindheit im Kopf, und nun wollte ich mal sehen, wie sie wirkt, wenn ich sie aufschreibe und illustriere. Irgendwas Sinnvolles musste ich doch an der Hochschule in Hamburg machen. Das ist so eine Art Gesellenstück, nur dass ich kein passendes Diplom dazu habe.«
»Was hast du jetzt damit vor?«, erkundige ich mich, während ich das Buch durchblättere.
»Gar nichts«, lautet Neles lapidare Antwort. »Lass uns jetzt essen, ich habe Hunger. Kannst das Buch ja mitnehmen, wenn es dich so sehr interessiert.«
In der Tat, das werde ich, denke ich und habe plötzlich eine Idee.
Minuten später sitzen wir in Neles heimeliger Wohnküche und verputzen ihren Möwennest-Mittagstisch. Sie kann nicht nur backen, sondern auch hervorragend kochen, wie ich feststelle. Zum Essen trinken
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