Inselzauber
wenn sie Gedanken anstoßen und wenn ich in ihrer Sprache versinken kann.«
»So, so, Sie versinken also gern in Sprache«, erwidert Marco Nardi schmunzelnd und zeichnet mit seinem Messer Kreise auf den Holztisch. »Wie muss Sprache denn klingen, damit Sie darin versinken können?«
Nun werde ich wirklich verlegen und wünsche mir, dass sich ein Erdloch unter mir auftun möge, dessen Schlund mich auf der Stelle in die Tiefe zieht. Meinetwegen auch in die Tiefe des sagenumwobenen Weinkellers, dann könnte ich mich dort wenigstens betrinken. Wie peinlich! Da sitzen wir nun, um einem Autoren einen netten Einstieg ins Sylter Kulturleben zu ermöglichen, und plötzlich entspinnt sich ein fast schon intimes Zwiegespräch, das alle anderen Beteiligten umgehend zu bloßen Statisten degradiert.
In diesem Moment erlöst mich Gott sei Dank Maria, indem sie den Hauptgang serviert, so dass ich sogar kurz geneigt bin, ihr Tattoo doch schön zu finden. Leon, der sensibel genug ist, zu bemerken, wie unwohl ich mich gerade fühle, ist so nett, mir ein Glas Wein einzuschenken und das Essen zu loben, das nun dampfend vor uns steht. Wir haben uns der Einfachheit wegen für eine große gemischte Fischplatte entschieden, die in der Mitte des Tisches thront.
»Ich würde dieses Gespräch gern bei Gelegenheit mit Ihnen fortsetzen«, insistiert Marco Nardi, was ich lediglich mit einem indifferenten Lächeln quittiere.
An dieser Stelle nutzt Isabell von der Gathen die Chance, die Aufmerksamkeit wieder auf sich und ihre Mission zu ziehen. Sie entwirft einen multimedialen PR -Feldzug, was ich persönlich nicht nur unnötig, sondern auch ziemlich unangebracht finde. Schließlich hat der Autor bislang erst einen Roman geschrieben und einen Beitrag zu einer Anthologie. Kein Grund, in ihm bereits den kommenden Nobelpreisträger zu sehen, auch wenn er offenbar recht talentiert ist. Leon ist bei alldem sehr still und intensiv damit beschäftigt, seinen Fisch zu filetieren. Zu gern wüsste ich, was er jetzt denkt, denn ich habe den Eindruck, dass ihm dieses wichtigtuerische Gehabe ebenso auf die Nerven geht wie mir.
Kurz vor Mitternacht beginnen die Ersten zu gähnen, was Leon zum Anlass nimmt, die Runde aufzulösen. Wir sind alle Gäste des
Sylter Tagesspiegels,
der ebenfalls einen Teil des Stipendiums finanziert.
Als wir in die sternklare Nacht hinaustreten, verabschiedet sich Marco Nardi von mir, indem er mir seine Visitenkarte in die Hand drückt. »Hier meine Handynummer, falls Sie sich weiter mit mir über Literatur unterhalten wollen. Ich bin noch zwei Tage auf Sylt, dann wieder ab dem ersten Mai.«
Ich bedanke mich, gebe ihm zum Abschied die Hand und stecke die Karte in meine Manteltasche. »Viel Spaß noch, wir sehen uns«, antworte ich und verabschiede mich von den anderen, die es eilig haben, in ihre Autos zu kommen.
»Wirst du dich bei ihm melden?«, erkundigt sich Leon, als wir im Wagen sitzen.
Weshalb ihn das wohl interessiert?, frage ich mich. »Nein, ich glaube nicht, zumindest nicht in den nächsten Tagen. Vielleicht im Mai, mal sehen.«
Versonnen male ich eine Blume auf das beschlagene Autofenster. Etwas, was Stefan gehasst hätte, weil er sich immer Sorgen um sein Auto macht. Tja, wenn es erst mal Mai ist und warm. Nicht so eisig und verschneit wie momentan.
»Im Mai bist du doch gar nicht mehr auf der Insel«, wundert sich Leon.
Auch ich bin kurz irritiert. Stimmt, das hatte ich mal wieder völlig verdrängt. Mein Aufenthalt ist ja nur bis Ende April geplant, so ist es auch mit meinem Arbeitgeber vereinbart. Komisch, dass ich das immer wieder vergesse …
»Na, wie war’s in der Sansi?«, erkundigt sich Nele am nächsten Morgen, als sie ungewöhnlich früh wie ein Wirbelwind in die Buchhandlung stürmt. Ein Hauch von Patchouli umweht sie und mischt sich süßlich mit dem Duft des Zimttees, den ich mir gerade aufgegossen habe.
»Woher weißt du denn schon wieder, wo ich gestern war?«, murre ich ein wenig ärgerlicher als beabsichtigt. Diese Insel ist wirklich ein Dorf. Hier bleibt nichts, aber auch gar nichts verborgen und unkommentiert.
»Sind wir heute etwa mit dem falschen Bein zuerst aufgestanden?«, fragt Nele provokativ.
Ich bin fast geneigt, ihr die Zeitschrift, die sie gerade kaufen will, um die Ohren zu hauen. Es ist das neue
GEO
Saison
mit Schwerpunkt Mexiko. Nele will doch nicht etwa Ernst machen? In dem Moment, in dem ich das denke, überkommt mich mein schlechtes Gewissen, weil ich mit
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