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Inshallah - Worte im Sand - Roman

Inshallah - Worte im Sand - Roman

Titel: Inshallah - Worte im Sand - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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lassen. Dann schob ich ein Bein auf den schmalen Vorsprung. »Wir sind fast oben. Steig auf mein Bein, dann kannst du dich auf den Rand hieven.« Ich drückte Khalid eine Hand auf den Rücken. »Ich halte dich fest. Los. Du schaffst es. Wir können nicht auf dem gleichen Weg nach unten. Nicht, solange diese Jungs da sind.«
    Er setzte seinen Fuß langsam auf meinen Oberschenkel. Ich drückte ihn mit aller Kraft gegen die Wand, während er nach oben kletterte. Nachdem er es geschafft hatte, fand er wieder einen Pfad. Steinchen prasselten in die Tiefe, dann stand er oben auf der Mauer. Er reckte die Arme und lief so stolz hin und her, als hätte er gerade einen großen Wettlauf oder etwas Ähnliches gewonnen. »Von hier oben hat man eine tolle Aussicht!«, rief er.
    Ich seufzte erleichtert. Khalid hatte es unversehrt nach oben geschafft. Er war vorerst in Sicherheit. Doch die Mauer barg noch viele Gefahren und ich musste ihm beim Abstieg helfen.
    Anwar achtete nicht mehr auf Khalid. »Zieh den Rock richtig an, Schlampe!«
    Ich hasste Anwar zwar aus ganzem Herzen, doch er hatte recht: Brave afghanische Mädchen kletterten nicht. Aber Khalid konnte immer noch stürzen und sich verletzen. Ich blies mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und folgte ihm. Vielleicht kletterten anständige afghanische Mädchen nicht mit gerafftem Rock auf Mauern herum – aber ich hatte noch nie wie ein anständiges afghanisches Mädchen ausgesehen.
    Endlich stieg ich aus dem Spalt in das grelle Sonnenlicht. Ich musste blinzeln, dann staunte ich über die Größe der Festung. Als ich nach unten sah, stellte ich erleichtert fest, dass Anwar und seine Bande weg waren. Hoffentlich fand Khalid, dass es sich gelohnt hatte, unser beider Leben für Mistkerle aufs Spiel zu setzen, die einfach wegrannten und ihn vergaßen! Ich stand auf einem Turm und ließ den Blick über die an Berge erinnernden Mauern gleiten, die ein tief unter uns liegendes Feld mit dürrem Gras umschlossen. Dort gab es russischen Militärschrott und noch mehr Ruinen. Die Festung erstreckte sich mindestens über einen Quadratkilometer.
    Aber wo steckte Khalid?
    Der heiße Wind blies mir ins Gesicht und zerwühlte mein verschwitztes Haar. Das tat gut.
    Mein Bruder stand zitternd und wimmernd auf einem Übergang aus uralten Lehmziegeln, der keinen halben Meter breit war und zum nächsten Turm führte. Die Mauer darunter war schon vor langer Zeit größtenteils in sich zusammengebrochen.
    »Ganz ruhig, Khalid. Ich helfe dir.« Aber ich war ratlos. Ich konnte ihn nicht erreichen, denn der schmale Übergang bot keinen Platz für zwei. Ich würde entwederstürzen oder Khalid Angst einjagen, und dann würde er mich bei seinem Sturz mit in die Tiefe reißen. Meine Beine zitterten, als ich mich langsam zum Übergang vortastete und eine Hand ausstreckte. »Los, Khalid. Nimm meine Hand und komm her.«
    »Bleibt, wo ihr seid!«, brüllte jemand.
    Khalid erschrak. Er wedelte mit den Armen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und hockte sich dann auf den Übergang. Seine Augen füllten sich vor Angst erneut mit Tränen.
    Sobald ich mich davon überzeugt hatte, dass er nicht stürzen konnte, drehte ich mich um und entdeckte drei Türme weiter einen Polizisten, der mit einem Gewehr in der Hand auf uns zulief. Darum waren Anwar und die Jungen verschwunden! Sie hatten sich beim Anblick des Polizisten aus dem Staub gemacht. Khalid und ich saßen in der Patsche.
    »Du musst rennen, Khalid!«, sagte ich. »Sonst wirst du verhaftet!«
    »Ich kann nicht!«, schrie er unter Tränen und schüttelte den Kopf. »Ich sitze hier fest. Hilf mir.«
    »Hierher, ihr beiden!« Der Polizist schwenkte sein Gewehr.
    Ich ballte die Faust. Dann trat ich vorsichtig auf den schmalen Übergang. Ich ging seitwärts, schob den rechten Fuß nach vorn und zog den linken nach. So bewegte ich mich langsam auf Khalid zu.
    Zeynab wurde immer nervös, wenn sie am Rand unseres Daches stand. Ich hingegen hatte nie Höhenangst gehabt. Als ich allerdings jetzt nach unten sah, waren meine Hände feucht und meine Knie zitterten. Unter mir gähnte eine Leere bis zum harten Boden, wo ein jungerSchäfer seine Herde hütete. Die Schafe waren kleine weiße Punkte. Der Wind blies heftig gegen meinen Rücken.
    »Wir werden abstürzen«, flüsterte Khalid.
    »Nein, werden wir nicht«, stieß ich hervor. Dann merkte ich, dass auch ich nur geflüstert hatte, und wiederholte lauter: »Wir stürzen nicht ab.« Der Polizist, der auf dem

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