Inshallah - Worte im Sand - Roman
meinem Magen auf und stieg bis in die Brust. Ich wischte mir die Augen, während ich gegen die schlimmen Erinnerungen ankämpfte. »Aber sie haben …«
»Sie haben uns nichts Gutes gebracht!« Sie richtete sich so ruckartig auf, dass Tee aus ihrer Tasse auf den Fußboden schwappte. »Sie haben alles außer dem Heiligen Koran verboten. Alles, was nicht zu ihrer wirren Vorstellung vom Islam passte. Aber die afghanische Literatur hat Jahrtausende und ein halbes Dutzend Heere überdauert, die viel mächtiger waren als der schäbige Haufen der Taliban!«
Ich betrachtete Meena, diese alte Frau mit den gütigen Augen, fast weißen Haaren und einer Haut so runzelig wie ein reifer Granatapfel. »Mada-jan wollte mich unterrichten. Ich habe versprochen, fleißig zu lernen. Ich versuche, nicht alles zu vergessen, aber …« Ich hatte so wenig, das mich an meine Mutter erinnerte. Und plötzlich wusste ich wie durch ein Wunder Allahs, was ich tun musste. »Ich möchte Lesen und Schreiben lernen. Ich möchte die Gedichte kennenlernen, die meine Mutter so geliebt hat«, sagte ich. »Können Sie mir Unterricht geben?«
»Kind«, antwortete Meena lächelnd, »es wäre mir eine große Ehre.«
»Wo hast du gesteckt?« Malehkahs Stimme klang grollend, als ich auf unseren Hof trat.
»Mada.« Ich versuchte, Sand und Schmutz von Rock und Tschador zu bürsten. »Ich habe Khalid gesucht.«
Sie trat ganz dicht an mich heran und drückte mich gegen die Wand. »Khalid ist hier !« Ich spürte ihren Atem auf meinem Gesicht. »Er hat mir erzählt, wo du warst.«
Oh nein! Was würde Baba tun, wenn Malehkah ihm erzählte, dass ich mit Meena Tee getrunken hatte? Aber wie konnte Khalid wissen, dass ich bei ihr gewesen war? Er war ja schon vorausgelaufen.
»Die Zitadelle!«, zischte sie durch zusammengebissene Zähne.
Ich hätte nie gedacht, dass ich erleichtert sein könnte, weil sie mich wegen der Festung schalt. »Er saß fest.«
»Willst du Khalid die Schuld in die Schuhe schieben?« Sie richtete sich kerzengerade auf und entriss mir die Tüte mit dem Essen, die ich nach dem Verlassen von Meenas Haus aus dem Entwässerungsgraben geholt hatte.
»Ich wollte ihm helfen, Malehkah. Ich bin …«
Sie packte mich bei den Schultern und stieß mich gegen die Mauer. »Solange du in diesem Haus wohnst, wirst du mir die gebührende Achtung entgegenbringen und mich ›Mutter‹ nennen.« Sie gab mir noch einen Schubs und trat zurück. »Khalid hat mir erzählt, dass du ihn gejagt hast. Du hast ihn bis oben auf die Festungsmauer gejagt, wo er fast gestürzt wäre.«
»Aber ich habe ihn nicht …«
»Rennt quer durch die Stadt und klettert wie ein Junge. Wenn du so weitermachst, wird kein Mann Interesse an dir haben, selbst wenn wir einen auftreiben, der deinen Mund übersieht. Dann werden wir dich nie verheiraten. Du widerst mich an.« Sie wandte sich ab und stapfte zum Haus.
»Aber er …«, stammelte ich. »Ich habe ihn gerettet und …«
»Hilf deiner Schwester, den Reis auszulesen. Sie ist hinten auf der Veranda.« Malehkah verschwand im Haus.
Ich hatte mein Leben aufs Spiel gesetzt, um diesen kleinen Mistkerl zu retten, und nun hatte ich Schuld an dem, was er angestellt hatte. Ich drückte eine Hand vor den Mund und grub meine Zähne hinein.
»Zulaikha!« Malehkah lehnte sich aus dem Fenster. »Hör auf zu winseln und hilf deiner Schwester.«
»Bale … Mada.« Ich betrat das Haus.
Hinten auf der Veranda half ich Zeynab, schlechte Körner und Ungeziefer aus dem Reis zu sammeln. Wir arbeiteten eine Weile schweigend.
»Ich habe schon mit ihr gesprochen«, flüsterte Zeynab und drückte meine Hand. »Mach dir keine Sorgen. Sie wird Baba nichts von der Zitadelle erzählen. Sie will nicht, dass ihr kleiner Liebling Khalid eine Tracht Prügel bekommt.«
Ich überlegte kurz, meiner Schwester von meiner neuen Muallem zu erzählen. Zeynab und ich vertrauten einander alles an. Aber die alte Frau hatte etwas Geheimnisvolles, und ich fand den Gedanken aufregend, dass ich bald etwas lernen würde … Es war meine Entdeckung und ich mochte sie noch nicht teilen.
»Was ist denn?« Zeynab musterte mich.
»Ach, nichts«, sagte ich.
Sie sah mich weiter an.
»Wirklich nichts«, sagte ich und sammelte weiter die schlechten Körner aus dem Reis.
Abends, nach dem Gebet, sah ich Baba und Najib zu, die sich auf dem Hof auf eine lange Arbeitsnacht vorbereiteten.
»Hinten in der Ecke hat noch ein Schuppen für all die Werkzeuge Platz, die wir brauchen,
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