Inside Aldi & Co.
den Laden fegen und wischen, abwaschen oder das WC sauber machen. Putzfrau haben wir keine.
Am Mittwoch muss alles aus dem Lager raus, weil bald wieder Ware kommt. Unsere Filialleitung geht gegen Mittag Geld wegbringen (wie auch montags und freitags), in der Zwischenzeit bin ich natürlich alleine im Verkaufsraum. Muss ich aufs Klo oder kommen viele Kunden, habe ich Pech gehabt. Ich rase wie ein Wiesel durch den Laden, und wenn die Filialleitung zurückkommt, fragt sie grundsätzlich: ‹Frau Müller, was haben Sie die ganze Zeit gemacht?› Als sich eine Aushilfe mal darüber beschwerte, wurde sie sofort gefeuert. Deshalb sage ich lieber nichts. Am Donnerstagmittag kommt der LKW , der Fahrer ist meistens ziemlich genervt wegen vollen Straßen und Zeitdruck. Die ersten Worte, die ich von ihm höre, sind: ‹Nicht lange schnacken, sondern Kopf im Nacken›.
Okay, ich gebe Gas, nehme die E-Ameise, von der ich kein bisschen Ahnung habe. Die Paletten sind hoch und schief, mir schwant Böses, aber was soll ich tun. Es ist keiner da, der mir helfen könnte. Die Filialleitung sitzt vor dem Computer. Angst, was ist das, also lade ich den LKW ab, etwa 11 –16 Europaletten. Zwischendurch schaue ich um die Ecke, in den Laden hinein. Kunden stehen an der Kasse, also renne ich zur Kasse. Der LKW -Fahrer ärgert sich, aber was soll ich machen? Ich rase wieder raus, es ist kalt und regnet, egal, das bekomme ich auch noch hin. Gerade bin ich draußen, ein Kunde fragt: ‹Wo ist das Chinchilla-Futter?›, also stelle ich die E-Ameise wieder ab und muss rein zum Beraten. Nun endlich kommt die Aushilfe, ich atme auf. Schnell versuche ich, den LKW abzupacken, von hinten höre ich: ‹Frau Müller, haben wir Wurmkuren?› ‹Nein›, antworte ich, ‹haben wir noch nie gehabt, warum sollen wir sie heute haben?› Bin ich auf einem falschen Planeten? Meine Nerven liegen blank. Jetzt ist alles abgeladen, ich fahre das Zeug rein. Es ist ziemlich eng, aber die Ware muss schnell rein, damit der Kunde nicht über die Paletten stolpert. Also los geht’s, ich fange an, abzupacken, aber die Paletten sind ca. zwei Meter hoch. Ganz oben liegt ein Sack Royal Canin CC , der 20 Kilo schwer ist. Ich versuche, ihn runter zu bekommen, alleine unmöglich, ich rufe die Aushilfe. Sie hilft mir, aber an der Kasse sind schon wieder Kunden. Ich hetze nach vorne, freundlich sein und wieder zurück. Wir gehen natürlich nicht pünktlich um 19 Uhr, wir müssen noch die Abrechnung machen, also gehen wir erst eine Viertelstunde später. Bezahlt wird das nicht. Um seinen Arbeitsplatz zu behalten, macht man das.
Ich komme am Freitag wieder rein und stehe vor dem Desaster: Es sind noch fünf Paletten übrig. ‹Aushilfen brauchen wir nicht›, heißt es. Heute ist ein Höllentag. Damit die Filialleitung ihre monatliche Produktivitätsprämie kriegt, muss ich alles alleine machen. An Pause ist nicht zu denken. Ich habe zur Zeit nur 70 Überstunden, normalerweise aber immer zwischen 100 und 120 . Wenn ich mal Urlaub habe, dauert es nicht einen Tag, dass die Firma anruft, weil ich was vergessen habe oder sich ein Kunde beschwert hat. Oft wegen Kinderkram, wenn ich zum Beispiel ein Preisschild vergessen habe. Ich komme überhaupt nicht zur Ruhe, weil ich immer Angst habe, dass wieder ein Anruf kommt. Wenn ich mal nach einer Gehaltserhöhung bei der Bezirksleiterin frage, heißt es, jetzt nicht, keine Zeit. Wenn ich frage, wann, heißt es, weiß auch nicht, ein andermal vielleicht. Weiter oben zu fragen, bringt auch nichts, habe ich einmal probiert, die haben auch keine Zeit für mich. Es hieß nur: Seien Sie froh, dass Sie in Ihrem Alter überhaupt noch einen Job haben.»
Frau Müller, die tatsächlich nicht so heißt und aus Angst vor Repressalien anonym bleiben möchte, ist 47 Jahre alt und arbeitet gemäß ihrem Arbeitsvertrag 25 Stunden pro Woche. Für 7 , 50 Euro. Bei Lohnsteuerklasse 5 , die sie hat, sind das 520 Euro netto. Dennoch arbeite sie, hauptsächlich um krankenversichert zu sein, wie sie erklärt. Und weil sie es möchte. Sie habe immer in ihrem Leben und immer gerne gearbeitet, sagt die Fressnapf-Verkäuferin, aber langsam sei die Schmerzgrenze erreicht. Von Jüngeren werde sie belächelt. Weshalb sie nicht lieber zu Hause bleibe und Hartz IV beantrage, fragen die.
Mir liegen mehrere Aussagen und Fressnapf-interne E-Mails und Richtlinien vor, die eine klare Sprache sprechen: Es gibt viele Frau Müllers.
Der «Leitfaden
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