Inside Aldi & Co.
manipulieren. Dies war zwar nicht der Fall, aber der Vorgesetzte drohte dem Marktleiter, ihm sofort zu kündigen, falls er nicht unterschreibe. Weil er Angst um seinen Job hatte, unterschrieb er dieses Schriftstück. Nun hatte Netto also einen Grund für die Entlassung meines Mannes. Der Marktleiter wurde kurz darauf dann selbst entlassen. Er war sofort bereit, bei unserem Anwalt zu Protokoll zu geben, wie seine Zeugenaussage zustande gekommen war.
Wir mussten wochenlang mit dem Arbeitsamt kämpfen. Sie wollten zuerst kein Arbeitslosengeld zahlen, wegen der fristlosen Kündigung. Wir reichten Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht ein. Leider wurde der anberaumte Termin zur Güteverhandlung auch noch zwei Mal verschoben, und wir saßen lange im Ungewissen, was mit unserem Leben passieren würde. Wir durchlebten Qualen und Selbstzweifel, waren enttäuscht und entwickelten eine unglaubliche Wut.
Während dieser Zeit gingen mehrere Schriftstücke der Anwälte hin und her. Unser Anwalt machte der Firma Netto klar, dass sie mit einer fristlosen Kündigung nicht durchkommen werde, da die Zeugenaussage des Marktleiters der Hauptgrund für die angeblich gerechtfertigte Kündigung sein sollte.
Ende Januar fand dann endlich die Güteverhandlung statt. Von Netto erschien niemand, sie ließen sich nur durch den einen Rechtsanwalt vertreten. Im Ergebnis wurden alle Vorwürfe fallengelassen und zurückgezogen. Mein Mann bekam eine ordentliche Kündigung mit Abfindung und ein gutes Zeugnis. Eigentlich hätten wir es mit der Zeugenaussage des Marktleiters auf eine richtige Verhandlung ankommen lassen können, da Netto niemals mit dieser fristlosen Kündigung durchgekommen wäre, aber wir hatten einfach keine Nerven mehr, diesen Horror noch weiterzuführen. Mein Mann und ich wollten endlich Ruhe haben.
Warum genau er weg sollte, können wir uns schlussendlich nur zusammenreimen. Wahrscheinlich war sein Gehalt zu hoch für den neuen Sparkurs von Netto. Da es ständig Bewerbungen von Frischlingen gibt, konnte man ihn problemlos ersetzen. Es ist wirklich eine Schande, wie im Discounterbereich mit den Arbeitskräften umgegangen wird und wie einfach so über das Leben einer Familie nach Lust und Laune bestimmt wird.
Sie glauben nicht, welche immensen Sorgen wir wegen dieser ganzen Sache hatten. Wir haben 2006 ein Haus gebaut, und von einem Tag auf den anderen steht mein Mann ohne Job da. Wir haben schon über den Verkauf des Hauses nachgedacht, was uns dann komplett zugrunde gerichtet hätte. Und dann erst unsere Kinder! Da stecken Gefühle in einem drin, die nicht in Worte gefasst werden können. Es sind zum Teil Rachegedanken, die einen vor sich selbst erschrecken lassen. Aber das kann keiner verstehen, der es nicht selbst erlebt hat.»
Wie wenig sich bei der Edeka-Tochter Netto geändert haben dürfte, zeigt die interne E-Mail eines Verkaufsleiters aus einer anderen Region: «Nun ist es so weit, der Tag des Abschieds ist gekommen», leitet er seine am 31 . Januar 2013 um 18 :05 Uhr abgesendete Frust-Ablass-Nachricht ein, von der neben etlichen Führungskräften auch Netto-Boss Franz Pröls eine Kopie erhielt. Sie ist mit «Abschied» überschrieben, könnte sich aber auch «Abrechnung» nennen. Er habe gerne und erfolgreich mehr als drei Jahre lang für Netto gearbeitet, führt der Absender aus, wohingegen «Kolleginnen und Kollegen aufgrund ihrer negativen Resultate an die Wand gestellt» worden seien. An seinem letzten Arbeitstag beklagte er mangelnde Wertschätzung, nicht aber «im Branchenvergleich unterirdische Entlohnung». Offenbar ärgert sich der Absender, dass ihm der Aufstieg verwehrt blieb. «Die oft gepriesene ‹Unterstützung›, die anscheinend mit einer schizophrenen Besuchsintensität zum Ausdruck gebracht werden soll, verfehlt hier leider somit ihre Intention», wettert er denn. «Hier kündigen binnen weniger Wochen 4 Verkaufsleiter (…) und niemand stellt unbequeme Fragen?! Wie weit reicht denn die (bayerische) Selbstverherrlichung noch?» Beim Filialpersonal machten sich aufgrund der hohen Fluktuation «flächendeckend Demotivation und Enttäuschung» breit.
So geht die mit einigen Ausrufungszeichen und großen Worten gespickte Mail noch weiter, bevor sich der Absender für die «tolle Zusammenarbeit, trotz der großen Unzufriedenheit, die uns umgeben hat», bedankt und «Alles Gute!» wünscht. Für ein «Abendessen» oder ein «Frühstück» in Ponholz dürfte diese Nachricht
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