Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
Sabu. Sie lauerten die ganze Zeit nur auf den nächsten großen Coup. »Wir fordern uns selbst heraus, noch Größeres zu erreichen«, sagte Topiary damals. »Wir wollen noch mehr Spaß, noch größere Ziele.« Es gab kein Zurück mehr.
Aus dem Strom der Informationen, mit denen Topiary und Sabu Sicherheitslücken und Daten angeboten wurden, stach eine Nachricht heraus. Es war schon Abend in Topiarys Teil der Welt, als ein Hacker, der bereits mit Sabu gesprochen hatte und danach nicht mehr durchgekommen war, mit Topiary Kontakt aufnahm und ihm mitteilte, er habe Zugang zu Hunderten geheimen Daten und Nutzerinformationen, nachdem er sich ins Netzwerk des Arizona Police Department gehackt habe. Er war ein Aktivist, der sich vehement gegen Fahndungen aufgrund rassistischer Kriterien wandte, wie sie im Staat Arizona stattfanden. Die Veröffentlichung der Daten sah er als eine Art Rache. Topiary erkannte den Namen, weil Sabu ihn schon einmal erwähnt hatte.
Nachdem der Hacker alles auf einen geheimen Server hochgeladen hatte, stürzten sich Tflow, Pwnsauce und Topiary neugierig auf die Daten. Es handelte sich um einen Ordner mit mehr als siebenhundert Dokumenten. Darunter waren peinliche E-Mails, in denen man sich über einen ängstlichen Beamten beschwerte, der bei einer Schießerei weggerannt war und sich in einem Graben versteckt hatte, harmlose Informationen über eine neue Kampagne zur Sicherheit im Straßenverkehr sowie Adressen und Kontaktdaten von Polizeibeamten aus Arizona. Wenn man tief genug grub, glaubte der Hacker, würden diese Dokumente korrupte Machenschaften der Polizeidienststelle bloßstellen. Er legte überzeugend dar, dass bei der Grenzpolizei systematisch diskriminiert würde, und Topiary in seiner üblichen Unbeschwertheit meinte, er solle seine eigene Presseerklärung schreiben. Das war das erste Mal, dass jemand anders als Topiary ein Statement für LulzSec verfasste. Tflow baute eine Torrent-Datei.
Es gab kaum Zeit, die Pressemitteilung zu lesen, und es wurde nichts redigiert. Sobald alles fertig war, wurde es veröffentlicht. Die Erklärung trug den Titel »Chinga la Migra«, daneben stand »Weg mit den Schweinen«, und es war der Umriss eines AK-47-Maschinengewehrs aus Tastensymbolen zu sehen. Topiary traute seinen Augen nicht. Als er die Pressemitteilung noch einmal durchging, erkannte er nichts von LulzSecs leichtherzigen Spitzen gegen eine große, gesichtslose Institution, sondern eine aggressive Polemik gegen Polizeibeamte, deren private Anschriften veröffentlicht wurden. Als er »Chinga La Migra« googelte, fand er heraus, dass es der spanische Ausdruck für »Fick die Grenzpolizei« war. Er bereute sofort, die Stellungnahme des Hackers veröffentlicht zu haben. Denn darin wurde förmlich dazu aufgefordert, Polizeibeamte anzugreifen. Wie sich herausstellte, war Tflow genau derselben Ansicht. Er schickte Topiary eine Nachricht: Das sei zu viel. Die Erklärung radikalisiere. »Wir wollen nicht, dass Polizisten getötet werden«, antwortete Topiary zustimmend. »Das ist nicht meine Art.« Genauso wenig war es Tflows.
Topiary hatte eben über Instant-Message-Text ein Interview für die BBC-Nachrichtensendung Newsnight am selben Abend, dem 24. Juni, gegeben. Es war eines seiner wenigen Interviews während der aktiven Zeit von LulzSec. Er gab erneut den Schauspieler und machte hochtrabende Statements zu Anti-Security und zur Korruptionsbekämpfung seiner Gruppe. »Die Menschen fürchten sich vor Autoritäten«, sagte er dem BBC-Aufnahmeleiter Adam Livingstone. »Und wir holen sie vom Thron runter.« Doch die Worte blieben ihm im Halse stecken.
Als er noch einmal gründlich darüber nachdachte, was aus LulzSec geworden war, musste er erkennen, dass es sich weit davon entfernt hatte, eine zugleich amüsante wie korrigierende Vereinigung zu sein. Von der Spaßguerilla war rein gar nichts mehr übrig. Der harte Kern verbrachte immer mehr Zeit mit internen Angelegenheiten, verschwor sich gegen Trolle wie Jester und Backtrace, bekämpfte Schnüffler und machte sich Sorgen, was Ryan wohl der Polizei sagen würde. Es war mehr als eine Woche her, dass das Team zusammen an einem anständigen Leak gearbeitet hatte. Nur einige Stunden vor Topiarys Interview mit dem BBC-Fernsehen war die Zeitung Guardian an die #pure-elite-Blogs gelangt, die M_nerva Wochen zuvor geleakt hatte, und veröffentlichte nun einen Bericht, in dem es hieß, LulzSec sei eine »desorganisierte Gruppe, die auf Medienpräsenz aus
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