Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
alles und komm unter anderem Namen zurück. Wenn ich Kinder hätte, würde ich das hier nicht machen.« Sabu entgegnete nochmals, es sei zu spät. Das Team lasse ihn im Stich. »Wir lassen dich nicht im Stich«, entgegnete Topiary. »Wir beenden nur LulzSec. Wir sind immer noch deine Freunde.«
Anstatt ihn zu besänftigen, machten diese Versicherungen Sabu noch wütender. Topiary gab es auf, mit ihm diskutieren zu wollen. Bestimmte Entwicklungen bei LulzSec oder bei Anonymous ließen sich einfach nicht erklären. Vieles war aus einer Laune heraus geschehen: die Gründung der Gruppe, die Auswahl der Angriffsziele, die Wiederbelebung der AntiSec-Bewegung. LulzSec hatte seine Aktivitäten nie mehr als zwölf Stunden im Voraus geplant. Die Medien und Behörden trauten LulzSec zu viel zu und erkannten nicht, womit sie es eigentlich zu tun hatten: mit genialen Crackern, die sich zur richtigen Zeit zusammengetan hatten und nun die Kontrolle darüber verloren, was sie geschaffen hatten. Selbst Topiary wurde das alles zu viel.
Sabu deutete an, er sehe immer weniger Elan und immer mehr Verschwörung. Er eröffnete private Diskussionen mit AVunit und Tflow, die später Einzelheiten dieser Gespräche an Topiary weitergaben. Sabu sprach gegenüber beiden davon, wie Topiary ihn und Kayla ausgenutzt habe, um sich in Websites wie PBS zu hacken. Als Sabus Großmutter gestorben sei und er aussetzen musste, habe Topiary erfolgreich versucht, ihm die Kontrolle über LulzSec zu entreißen und anschließend mit den Bitcoin-Spenden zu verschwinden. Beinahe schien es, als wollte er Topiary vor den anderen in möglichst schlechtes Licht rücken, bevor sie sich für immer trennten.
Als Topiary Wind davon bekam, wie Sabu ihn in den privaten Diskussionen anklagte, wurde ihm klar, warum er die Sache außerdem beenden wollte: wegen Sabus unheimlicher Fähigkeit, andere zu manipulieren. Sabu war ein guter Hacker und ein Meister des Social Engineering. Trotz seiner aufbrausenden Art konnte er bei nahezu jedem Zuneigung, Bewunderung und Schuldgefühle wecken. Der Hebel war dabei oft ideeller Natur: die Aussicht auf einen noch größeren Hack und die Anerkennung der LulzSec-Mitglieder. Jetzt aber sah die harte Realität so aus, dass sich jeder allein durchschlagen musste.
Topiary versuchte, Sabus Einwände zu ignorieren, und schrieb seine letzte Pressemitteilung mit dem Titel »50 Tage Lulz«. »Seid versichert, dass wir euch alle, sogar die Trolle, lieben, und das ist ausschließlich sexuell gemeint«, sagte Topiary den mehr als 325.000 Followers auf Twitter. Zehn Minuten später veröffentlichte er die Erklärung: »In den vergangenen fünfzig Tagen haben wir Unternehmen, Regierungen und auch die Bevölkerung gestört und bloßgestellt – einfach, weil wir die Mittel dazu hatten«, hieß es. »Und das alles, um andere uneigennützig zu unterhalten.« Das waren Topiarys Worte, nicht Sabus. Das war nicht die stürmische Ansprache, die er und Tflow besprochen hatten, sondern eine Metapher dafür, wie sich LulzSec im vergangenen Monat dargestellt hatte: spontan, selbstsicher und nach einer ernsten Überzeugung suchend, ohne sich je wirklich festzulegen. Man hatte viele Leute dazu gebracht, den Twitter-Account Anonymous IRC zu verfolgen. Unter der Leitung diverser Hardcore-Hacktivisten, die nicht genannt werden wollen, hatte dieser inzwischen mehr als 125.000 Followers und erschien immer mehr als offizieller Kommunikationskanal für Anonymous.
Der letzte Leak war ein Mischmasch aus Informationen für AOL-Techniker, internen Unterlagen von AT&T und Benutzerdaten von Spiel- und Hackerforen. Die Erklärung tat erstmalig kund, dass LulzSec aus einer »Sechsermannschaft« bestand. Topiary verkündete klar und deutlich: Mit LulzSec war es aus.
Kapitel 24: Das Schicksal der Lulz
Die Bedeutung von LulzSec war keine reine Erfindung der Medien. Die meisten Menschen verbringen ihr Leben in einer Welt mit frischer Luft, Verkehrsampeln und monatlichen Gehaltsschecks. Für diese Menschen bedeutete LulzSec, dass die Firmen, die ihre persönlichen Daten in schlecht gesicherte Datenbanken speicherten, ihre Datenschutzpolitik überdenken mussten. LulzSec hatte einen entscheidenden Denkfehler in diesen Unternehmen offengelegt: Dort galten Kundendaten als sicher, wenn sich die eigenen IT-Spezialisten nicht einhacken konnten. Doch inzwischen hatte sich die Lage verändert, und kein Unternehmen war mehr vor Angriffen sicher. Man brauchte keine Hackerarmee mehr, um
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