Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Titel: Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Parmy Olson
Vom Netzwerk:
Encyclopedia Dramatica (ED) das »Arschloch des Internets« genannt. Die ED wiederum war eine Parodie von Wikipedia – sie sah ganz ähnlich aus, aber es handelte sich um ein satirisches Archiv von Internetmemen. Genau wie die Anonymität der User war auch /b/ ein leeres Feld ohne Etikett. Die User konnten völlig frei entscheiden, welche Inhalte und Tendenzen es hatte. Mit der Zeit erschufen die regelmäßigen User, die sich selbst /b/rothers oder /b/tards nannten, eine eigene Welt. Eine der häufigeren Threads auf /b/ (neben pr0nz) war bawww (etwa »ohhh« als Äußerung des Mitleids). Damit appellierten die User an das Mitgefühl von 4chan. Der Thread fing etwa an: »gf hat mich gerade verlassen, bawww-thread bitte?«, dazu das Foto eines traurigen Gesichts. Das war einer der seltenen Fälle, in denen die /b/-User ernst gemeinte Ratschläge, Trost oder lustige Bilder posteten, um den OP aufzumuntern. Man konnte es natürlich nicht wissen, aber der Typ Mensch, der sich von 4chan angezogen fühlte, wirkte eher technikversessen, gelangweilt und oft emotional gehemmt. Als Anonymous 2008 die Aufmerksamkeit der Welt errang, hatten die meisten seiner Unterstützer schon einige Zeit auf 4chan hinter sich, und etwa 30 Prozent der 4chan-User fanden sich regelmäßig bei /b/ ein.
    Als William auf 4chan stieß, hatte er schon viel schlimmere Webseiten gesehen, zum Beispiel myg0t, Rotten oder YNC. Aber er blieb bei /b/, weil es so unvorhersehbar und dynamisch war. Jahre später stellte er erstaunt fest, dass er immer noch jeden Tag überrascht war, wenn er die Seite öffnete, die er längst zu seiner Startseite gemacht hatte. Es war wie eine Lotterie – man wusste nie, ob gleich etwas Boshaftes, Schäbiges oder Lustiges auftauchen würde. Der absolute Nihilismus dahinter hatte eine einigende Kraft, und als die Medien und andere Außenseiter anfingen, über /b/ und seine User zu meckern, schloss sie dies nur fester zusammen.
    Zwei große Tabus gab es aber selbst auf /b/: erstens Kinderpornografie (obwohl das von einigen Hardcore-Usern abgelehnt wird, weil man damit die Neulinge so gut vergraulen kann), zweitens moralfags. Jemanden einen moralfag, also einen Moralapostel zu nennen, war auf 4chan die schwerste Beleidigung überhaupt. Es handelte sich um Besucher der Seite, die sich über ihre Perversität aufregten und sie ändern wollten oder, schlimmer noch, /b/ zu einer gemeinsamen Aktion gegen irgendein Unrecht zu bewegen versuchten. Sie wussten, dass oft Hunderte /b/-User in einem Diskussionsthread eine Meinung teilten. Manchmal stimmten sie nicht nur einer Auffassung zu, sondern beschlossen auch zu handeln. /b/ war zwar völlig unberechenbar, aber gelegentlich hatten seine User eine Art kollektives Bewusstsein. Sie dachten sich gemeinsam Scherze aus oder schlugen gegen OPs zurück, die sie ablehnten. Auch wenn es den Usern nicht gefiel – die Moralapostel nutzten das aus und brachten /b/ schließlich doch dazu, sich an Protestbewegungen zu beteiligen.
    Am bekanntesten wurde /b/ dafür, dass es Verfassern von Posts immer wieder gelang, andere Forumsteilnehmer zu einem Massenstreich, einem sogenannten Raid, aufzustacheln. Es fing gewöhnlich mit einem Thread an, in dem jemand forderte, man müsse in einer bestimmten Frage etwas unternehmen. Man war umso erfolgreicher, wenn die Aufforderung nicht als solche formuliert war, sondern implizierte, dass der Raid bereits im Gang sei und man sich ihm noch anschließen könne. »Hey Leute, wie wär’s?« wurde fast immer mit »GTFO« (»Get the fuck out«, also »Verpiss dich!«) beantwortet, während »Schaut mal, was hier gerade läuft, wollt ihr nicht mitmachen?« der Herde schon besser gefiel. Wenn der Verfasser seine Aufforderung als digitales Bild komplett mit Anleitung zum Mitmachen gestaltet hatte, konnte man es länger auf den vorderen Seiten des Forums halten, da es immer wieder eingestellt werden konnte.
    Alles auf /b/ ging rasend schnell. Um Aufmerksamkeit zu erhalten, war es am besten, dann zu posten, wenn es in den USA Morgen war und die Menschen aufstanden. Andererseits konnte der eigene Post dann aber auch leicht in der Flut von Posts anderer Leute untergehen, die ebenfalls diese günstige Zeit nutzten. Legte man einen Thread mit zunächst nur einem Beitrag an, stand er kurz an der Spitze der Liste, aber wenn man nach zehn Sekunden die Seite neu lud, war er bereits auf Seite 2 zurückgeschoben. Die einzelnen Threads tauschten untereinander ständig die Plätze –

Weitere Kostenlose Bücher