Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
zusammengesetzten Namen, den mehr als eine Person nutzte, und während man nun Ryan Ackroyd für bestimmte Vergehen anklagte, blieben andere unbehelligt. Wenn Anonymous eine kollektive Identität bot, warum dann nicht auch Kayla?
Jake dagegen gab das Internetverbot Gelegenheit, über das Web an sich nachzudenken – als neue Entität, die zu einem wesentlichen Bestandteil des Lebens geworden war. Im Februar gab er einen USB-Stick in die Post, auf den er folgende kurze Botschaft gespeichert hatte – seine Ansicht dazu, wie das Internet auf uns schaut:
Hallo, lieber Freund, willkommen im Internet, dem Lichtpunkt und tödlichen Laser in unserer hektischen modernen Welt. Die Internethorde hat dich nun schon eine ganze Weile beobachtet. Sie hat gesehen, wie du dich bei Facebook und Twitter mit anderen zusammengerottet hast, wie du ihr Terrain betreten und es mit deinen Skandalen und dem Gerede aus der »echten Welt« zu überrennen versucht hast. Du musst wissen, dass der Cyberspace immer im Besitz der kollektiven Intelligenz bleiben wird. Das Internet gehört weder deinen geliebten Behörden noch dem Militär, noch irgendwelchen schwerreichen Unternehmern. Das Internet gehört den Trollen und Hackern, den Enthusiasten und Extremisten, und so wird es immer bleiben.
Denn das Internet hat schon vor langem seinen Ort in der Zeit verloren, und sein Schattenkollektiv verweigert sich weiterhin der Tatsache, dass es in einem bestimmten Jahr wie 2012 lebt, in dem es sich nach der 2012er Moral und den Regeln und Strafen der 2012er Gesellschaft richten muss. Das Internet grinst über Bilder von Massenvergewaltigungen, über schlimmste Horrorszenarien und Kannibalismus, untermalt mit leichter japanischer Musik. Es schert sich einen Dreck darum, einen Job plus Auto plus Haus zu haben und eine Familie zu gründen, der man dann beibringt, das Hamsterrad weiterzudrehen, während die Menschheit ihren eigenen Untergang vorbereitet. Maßgeschneiderte Särge und Rentenpläne auf Papier, damit kann das Internet nichts anfangen.
Man kann dem Internet kein schlechtes Gewissen einreden, man kann in ihm keine Reue, Schuld oder Sympathie wecken, man kann dem Internet lediglich das Bedürfnis einpflanzen, sich auf eure Kosten zu amüsieren. Bei allen Angehörigen der gesichtslosen Armee kommt Spaß auf, wenn sie die Zwillingstürme zusammenstürzen sehen, während in der linken unteren Bildschirmecke Hitler in Endlosschleife tanzt. Die Lulz schlagen zu, wenn sie die Zeitung aufschlagen und sich keinen Deut um die angeblichen Probleme der Welt scheren. Sie lachen über nach unten deutende rote Pfeile, wenn Banken und Unternehmen stürzen, und sie lachen, wenn unsere glorreiche Regierung die Situation zu retten versucht, indem immer mehr Geld reingepumpt wird. Sie lachen, wenn man ihnen einzureden versucht, man müsse »etwas aus seinem Leben machen«, und sie lachen noch mehr, wenn man sie Trolle oder herzlose Internet-Terroristen nennt. Sie lachen über dich, weil du nicht in der Lage bist, über dich selbst und das sinnlose Zeugs zu lachen, mit dem du dich umgibst. Aber am meisten lachen sie, weil sie es können.
Damit ist nicht gesagt, das Internet wäre dein Feind. Es ist dein größter Verbündeter und engster Freund. Seine Shops ermöglichen dir, dass du nie wieder einen Fuß vor die Tür setzen musst, und in seinen Casinos kannst du innerhalb einer Stunde dein ganzes Geld verzocken. Die vielen Chatrooms stellen sicher, dass du nie wieder mit irgendjemandem deiner Art direkt kommunizieren musst, und ausgefeiltes Social Networking lenkt deine Taten und Gedanken. Deine intimsten Beziehungen und dunkelsten Geheimnisse gehören der Horde und werden nie vergessen. Dein Leben wird auf ewig im unendlichen Repertoire der schönen, bytegroßen Sequenzen festgehalten, in der Cybercloud sicher aufbewahrt und für alle einsehbar.
Und wie hat das Internet das Leben seiner hartnäckigsten Abhängigen verändert? Sie haben keine Lust, es dir zu sagen. Willkommen auf der Schattenseite der Gesellschaft, im anarchistischen Gedankenstromnebel, der mit jedem Tag weiter in den Alltag der breiten Masse und damit auch in dein Leben schwappt. Du kannst ihm nicht entkommen, und du kannst ihn nicht herannahen sehen. Er ist der Alptraum am Rande deiner Träume, der unheilvolle Gedanke, der sich in dein Online-Leben kratzt wie eine übermächtige virtuelle Gewalt, die deine Werte nicht beachtet und sich an deinen Gefühlen weidet.
Tritt ein ins kollektive Gehirn,
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