Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
Aufschneidereien, geheimen Diskussionen, Verschwörungen und Drohungen wuchs sich schnell zum bürokratischen Alptraum aus. Obwohl Sabu acht Monate für das FBI arbeitete, ist nicht klar, wie viel er dazu beigetragen hat, dass die fünf Hacker identifiziert wurden, die am 6. März angeklagt wurden – vielleicht hat er nur geholfen, Anklagepunkte zu sammeln.
Sabu wurde enttarnt, doch Anonymous schien sich gegen seine Zerstörung zu wehren. Am Abend des 6. März verkündete eine Hackergruppe, Anonymous habe sich in die Website von Panda Securitiy eingeschleust – jener IT-Firma, die im Dezember 2010 Anonymous’ DDoS-Attacken auf PayPal beobachtet hatte. Die Botschaft lautete: Es geht weiter. In den folgenden Tagen sammelten die Hacker, die mit Sabu zu tun gehabt hatten, neue Ideen zur Zusammenarbeit. »Sabus Scheiße hat alles verändert«, meinte jemand. »Das Misstrauen steigt.« Mitte Mai diskutierten die Hacker andere Möglichkeiten der Kommunikation neben IRC und welche Standards sie für Neulinge einrichten könnten, die sich an privaten Diskussionen beteiligen wollten. Anonymous als Aktivistenbewegung würde öffentlich bleiben, aber die Hacking-Aktivitäten sollten in den Untergrund verschoben werden. Anonymous sei aus dem Schatten getreten, erklärte der Hacker, und es würde nun wieder eine Zeit im Dunkeln verschwinden. »Aber keine Sorge. Uns gibt es.«
Anonymous hatte sich bereits gewandelt. Die Softwaretools der Anonymous-Unterstützer waren inzwischen leichter zu verbreiten. Als Mitglieder von Anonymous im Januar 2012 DDoS-Attacken bei mehreren Unternehmen starteten, um gegen die Abschaltung des Sharehosters Megaupload zu protestieren, verwendeten sie nicht mehr das herkömmliche LOIC-Programm. Man musste nichts mehr herunterladen, sondern konnte LOIC direkt von einem Webbrowser starten. Indem sie also einen Link auf Twitter oder Facebook posteten, konnten die Hacker Hunderte, ja Tausende unwissende Internetsurfer dazu bringen, den Angriff zu unterstützen. Imperva, ein Unternehmen für digitale Sicherheit, taufte die Angriffsmethode »mobile LOIC«. Sie wurde schon im August 2011 bei den ersten von mehreren DDoS-Attacken gegen den Vatikan angewandt und erfreute sich in den kommenden Monaten immer größerer Beliebtheit.
Anfang 2012 wurden die Angriffe von Anonymous nicht mehr von Tausenden Freiwilligen durchgeführt, wie noch bei den Attacken gegen PayPal zugunsten von WikiLeaks. Genau wie die Chanology-Proteste im realen Leben waren sie einmalige Ereignisse – es schien, als ob Anonymous lernen würde, was funktioniert und was nicht. Anonymous entfernte sich von Massenveranstaltungen und DDoS-Attacken hin zu kleinen Gruppierungen, die Daten stahlen, wie etwa LulzSec. Dafür nutzten viele das Webtool Havij. Nachdem LulzSec es benutzt hatte, um Daten während des PBS-Coups zusammenzutragen, setzte eine Splittergruppe namens CabinCr3w Havij (oder ein ähnliches Tool) dazu ein, die persönlichen Daten von fünfhundert Polizeibeamten in Utah zu enthüllen, während andere Anons mittels Havij im August 2011 Daten vom Vatikan stehlen wollten. Impervas Nachforschungen zeigten, dass nur ein Jahr nach seiner Entwicklung durch – wie man glaubt – iranische Programmierer, Havij bereits im Sommer 2012 eines der beliebtesten Tools für Attacken mittels SQL-Injection geworden ist. Das Programm selbst war so simpel, dass ein Imperva-Manager seinem elfjährigen Kind in nur fünfzehn Minuten beibringen konnte, es zu benutzen. Das kostenlos downloadbare Tool führte die SQL-Injection automatisch durch und filterte sogar die Daten praktischerweise in Kategorien wie »Passwörter« und »Kreditkartennummern«. Mit solchen kostenlosen Programmen und nur wenigen Klicks konnte jeder ein Hacker sein, so schien es.
Natürlich würde es schwierig werden, die Idee von Anonymous aufrechtzuerhalten. Die Medien, die Polizei und sogar die Hacker selbst hatten ihre eigene Vorstellung davon, was Anonymous war: Konzept, Spaßguerilla, kriminelle Organisation und vieles mehr. Bis März 2012 schienen die Öffentlichkeit und Teile der Medien immer noch zu glauben, dass Anonymous eine sehr große Gruppe sei, die Pläne schmiedete und diese geordnet durchführte. Obwohl sie damit gründlich falschlagen, war es doch eine verständliche Annahme. Einem neuartigen, aus dem Internet geborenen Phänomen wie Anonymous konnte die Gesellschaft anfangs keinen Sinn zuschreiben. Zudem ließen die Gerüchte darüber, was es mit der kollektiven
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