Inside Occupy
wollen. Im Gegenteil, bei den meisten handelte es sich ziemlich offensichtlich um »Horizontale«, sprich: um Leute, die es eher mit anarchistischen Organisationsprinzipien halten, mit hierarchielosen Formen direkter Demokratie. Ich erspähte wenigstens einen Wobbly, 2 einen jungen Mann mit dunkler Sonnenbrille und schwarzem IWW-T-Shirt, und einige Collegeleute in der Aufmachung der Zapatistas. 3 Auch Sabu lungerte da rum, mitsamt einem anderen japanischen Anarchisten, einem alten Freund, den ich von Straßenaktionen in Quebec City 2001 her kannte … Schließlich sahen Georgia und ich uns an und erkannten, dass wir beide dasselbe dachten: »Warum machen wir diesen Scheiß mit? Wieso gehen wir jedes Mal, wenn so was passiert, einfach maulend nach Hause? Verdammt, die haben eine Vollversammlung annonciert. Also halten wir doch eine ab!«
So schlenderte ich auf einen vielversprechenden Fremden zu, einen jungen Koreaner, der irritiert Richtung Bühne sah. Er hieß Chris, war Anarchist und arbeitete mit Food not Bombs, aber das wusste ich damals alles noch nicht. Jetzt fiel mir bloß auf, dass er ziemlich angepisst zu sein schien. »Sag mal, nur so als Frage. Wenn einige hier sich absetzen und eine richtige Vollversammlung aufziehen würden, würdest du dann mitmachen?«
»Wieso, haben das welche vor?«
»Sieht ganz so aus.«
Wenn ich in meinen Jahren als Aktivist eines gelernt habe, dann ist das Folgendes: Wenn man will, dass Leute in einer großen Menge was machen, dann schlägt man ihnen das nicht vor, sondern man sagt ihnen, dass es bereits jemand macht. Chris brauchte ich jedoch nicht zu überzeugen. »Scheiße, ja. Sag einfach, wenn’s so weit ist.«
»Um ehrlich zu sein«, sagte sein Begleiter, der, wie ich später erfuhr, Matt hieß, »wir wollten grade gehen. Aber vielleicht lohnt sich’s ja zu bleiben.«
So trommelten wir denn mit Chris’ und Matts Hilfe einige der offensichtlicheren Kandidaten zusammen und bildeten einen kleinen Kreis von vielleicht zwanzig Leuten direkt am Park, so weit sich eben von den Mikrophonen wegkommen ließ. Fast augenblicklich tauchten Delegiertevon der Kundgebung auf, um uns wieder zurückzuholen. Das waren keine Leute von der WWP – die halten sich aus so was grundsätzlich heraus –, sondern milchgesichtige junge Studenten im Freizeithemd.
»Wunderbar«, raunte ich Georgia zu. »Hier kommt die ISO.«
Die ISO oder International Socialist Organisation ist die Gruppe, der wir Doug Singsen, den lispelnden Kunsthistoriker, zugerechnet hatten. Sie war ursprünglich nur eine von Dutzenden kleiner trotzkistischer Splittergruppen, die aus der Neuen Linken der 60er Jahre hervorgegangen waren. In den Siebzigern verfielen sie fast alle darauf, ihre Rekrutierungs bemühungen auf Fabrikarbeiter zu konzentrieren, und das fast genau in dem Augenblick, als Amerika seine Fabriken zu schließen begann; nicht zuletzt deshalb sind viele dieser Gruppen verschwunden. Die ISO hingegen war damals an die Colleges gegangen und florierte. Wenn die WWP – von meinem anarchistischen Standpunkt aus – uns diametral gegenübersteht, dann steht die ISO ärgerlicherweise in der Mitte: so nahe, wie man einer horizontalen Gruppe nur kommen kann, ohne tatsächlich eine zu sein. Im Prinzip sind sie für direkte Aktion, direkte Demokratie, von unten nach oben organisierte Strukturen jeder Art. Die meisten von ihnen sind sympathisch und meinen es unglaublich gut, und ihre Kader (wer immer die sein mögen, das war noch nie so recht klar) erlauben ihnen, auch mit breiten Koalitionen zu arbeiten, die sie nicht kontrollieren – wenn auch mit einem Blick darauf, sie, wenn möglich, irgendwann zu absorbieren.
Das heißt: Da es jetzt ums Vermitteln ging, waren sie hier die offensichtliche Wahl. Wenn es eine Gruppe junger Leute gab, die die Organisatoren verteidigen würden, dann waren das sie.
Sie waren zu dritt, jung und adrett, und sie sagten so ziemlich dasselbe: »Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Das Event hier wird nicht von einer einzelnen Gruppe organisiert. Es ist eine breit angelegte Koalition von Basisbewegungen und Einzelnen gegen Bloombergs Sparpaket. Wir haben mit den Organisatoren gesprochen. Die sagen, es gibt definitiv eine Vollversammlung, wenn die mit den Ansprachen fertig sind.« Jeder von ihnen sonderte wenigstens einmal die Phrase von der »breit angelegten Koalition von Basisbewegungen und Einzelnen« ab. Das war schon so ziemlich alles, was wir wissen mussten. Sie
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