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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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nur deshalb einfanden, um ein Auge auf uns zu haben. Georgia und ich traten zurück und fragten, ob jemand bereit war, den Moderator zu machen. Es meldete sich ein junger Mann namens Willie Osterwall; er hatte einige Zeit als Hausbesetzer in Barcelona verbracht.
    Wir kamen rasch zu dem Schluss, dass wir keine Ahnung hatten, wie es weitergehen sollte.
    Ein Problem war:
Adbusters
hatte mit dem 17. September bereits ein Aktionsdatum annonciert. Was aus zwei Gründen problematisch war. Zum einen waren es bis dahin nur noch sechs Wochen. Also praktisch nichts. Man hatte über ein Jahr gebraucht, um die Blockaden und direkten Aktionen zu organisieren, die im November 1999 den WTO-Meetings in Seattle ein Ende gemacht hatten. Bei
Adbusters
schien man der Ansicht zu sein, wir könnten irgendwie 20 000 Leute dazu bringen, so mir nichts, dir nichts ihre Zelte in der Wall Street aufzuschlagen. Aber selbst mal angenommen, die Polizei würde das überhaupt zulassen, was man vergessen konnte: Jeder mit etwas praktischer Erfahrung in Sachen Organisation wusste, dass man Leute in so einer Größenordnung nicht binnen Wochen mobilisiert – dazu bräuchte es eine ganze Infrastruktur, Supportgruppen in verschiedenen Städten und, vor allem, Busse, wozu wiederum die Organisation von allerhand Spendenveranstaltungen nötig gewesen wäre, schließlich hatten wir, jedenfalls soweit wir wussten, nicht einen Cent. (Oder doch?
Adbusters
hatte angeblich Geld. Aber wir wussten janoch nicht mal, ob
Adbusters
direkt beteiligt war. Vertreter hatten sie keinen geschickt.)
    Dann gab es da noch das zweite Problem. Es bestand noch nicht mal die Möglichkeit, am 17. September die Börse lahmzulegen, weil der 17. September ein Samstag war. Wenn wir etwas unternehmen wollten, was die Wall Street Executives unmittelbar mitbekommen würden, dann müssten wir eine Möglichkeit finden, am Montagmorgen um neun Uhr noch dort zu sein. Aber wir waren uns nicht einmal sicher, ob die Börse das richtige Ziel für uns war. Allein von der Logistik her – zu schweigen von der Symbolik – hätten wir vielleicht mehr Glück bei der amerikanischen Zentralbank oder dem Hauptquartier von S&P, 5 die auch nur ein paar Blocks entfernt waren.
    [Bild vergrößern]
    Das einzig existente Foto von der Versammlung am 2. August am Fuße des Bowling Green. Der Autor im weißen Slackers-T-Shirt ist der siebte, Georgia Sagri im grauen Top und gelber Sonnenbrille die neunte von links. Chris, im grauen T-Shirt, steht hinter mir.
Foto: Sean Capetian
    Wir beschlossen, das Problem für den Augenblick ruhen zu lassen. Außerdem stellten wir die ganze Frage nach unseren Forderungen zurück und beschlossen stattdessen, Diskussionsgruppen zu bilden. Das ist eine Standardpraktik im horizontalen Prozess: Alle rufen ihre Ideen für Arbeitsgruppen in die Runde, bis man eine Liste beisammen hat (in diesem Fall hatten wir gerade mal vier: Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation/Internet, Aktion und Verfahren/Moderation); nachdem man sich darauf geeinigt hat, wann (z. B. in einer Stunde) man wieder zusammenkommt, teilt man sich zum Brainstorming in kleinere Runden auf. Wieder im Plenum, berichten die Sprecher der einzelnen Arbeitsgruppen über Diskussionsergebnisse und kollektiv getroffene Entscheidungen. Ich selbst schloss mich der Verfahrensgruppe an, die – wie vorauszusehen – fast komplett aus Anarchisten bestand. Rasch hatten wir uns darauf geeinigt, dass die Gruppe per Konsens entscheiden sollte, wenn auch mit der Option, auf ein Zweidrittel-Votum zurückzugreifen, sollten wir uns an einem totenPunkt sehen. Und dann sollte es immer wenigstens zwei Moderatoren geben – einen männlichen, einen weiblichen; einen, der für den Fortgang des Meetings sorgt, der andere führt die Liste der Wortmeldungen. Wir diskutierten Handsignale und Probeabstimmungen oder »Temperaturchecks«, wie man das nennt. 6
    Als wir uns wieder im Plenum trafen, war es bereits dunkel geworden. Die meisten Arbeitsgruppen waren nur zu provisorischen Ergebnissen gelangt. Die Aktionsgruppe hatte mehrere mögliche Szenarien diskutiert, aber ihre wesentliche Entscheidung bestand darin, sich im Lauf der Woche zu einer Begehung der Gegend zu treffen. Die Kommunikationsgruppe war übereingekommen, eine Mailingliste einzurichten und sich dann zur Diskussion einer Website zu treffen; der erste Punkt auf ihrer Tagesordnung bestand darin, herauszufinden, was es da bereits gab (zum Beispiel musste geklärt werden, wer da unter

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