Inside Polizei
welche in und nach diesem Chaos noch festzustellen waren.
Die Informationsweitergabe der Einsatzführung an Hunderte Polizisten tendierte mittlerweile gegen null. Statt Informationen kursierten Gerüchte. Es sprach sich bei allen Polizisten zwar herum, dass eine Panik die Todesfälle verursacht hatte, aber die genauen Umstände konnte noch niemand benennen. Die Zahl der angegebenen Opfer schwankte die ganze Zeit und wurde immer weiter nach oben korrigiert. Erst auf acht, dann auf zehn, zwölf, 13 bis auf 15. Wie so oft bei Großeinsätzen verfügten die Zuschauer an den Fernsehgeräten über eine aktuellere und exaktere Lagemitteilung als Hunderte Polizeikräfte, die nur wenige Meter neben der Tragödie arbeiteten und auf zutreffende Informationen dringend angewiesen waren. Erst brach bei den meisten Einheiten das eigene Funknetz zusammen und kurze Zeit später das öffentliche Handynetz. Bei einzelnen Telefongesellschaften hielt sich die Funktion etwas länger, aber eine Erreichbarkeit und die Möglichkeit zu telefonieren bestanden nur noch sporadisch, bis auch noch diese Netze zusammenbrachen. Die Einsatzleitung hatte es versäumt, für die Polizisten eine Vorrangschaltung zu beantragen. Die Kommunikation zwischen einzelnen Polizeieinheiten erfolgte daher entweder per Zuruf oder per Meldegänger. Willkommen im 21. Jahrhundert!
Patricks Frau Britta hatte noch keine Livenachrichten gesehen. Sie brachte Töchterchen Hannah wie geplant zur Oma. Dort blieb sie einige Zeit und wollte anschließend für ihr romantisches Mitternachtsdate einkaufen gehen. Britta probierte schon das dritte Mal, Patrick anzurufen, doch sie hörte immer nur die gleiche monotone Frauenstimme.
»The person you have called is temporarily not available. The person you have called is temporarily not available.«
Komischerweise folgte auch kein Rückruf von Patrick. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Britta begann sich Sorgen zu machen, daher schrieb sie ihm eine SMS: »Hi, ich erreiche dich nicht. Ist alles okay? Freu mich auf dich. Kuss Britta.«
Irgendwann, als das Funknetz eine Sekunde funktionierte, kam die SMS durch, und Patrick versuchte sogleich, Britta anzurufen. »The person you have called is temporarily not available. The person you have called is temporarily not available.«
Patrick dachte an Britta und wusste, dass sie sich große Sorgen machen würde, wenn sie Nachrichten hörte, von den Toten erfuhr, ihn aber weiterhin nicht erreichen konnte. Er schrieb ihr eine SMS als Lebenszeichen und zur Vergewisserung, dass mit ihm zumindest körperlich alles okay war. »Es geht mir so weit gut, aber es gibt hier Tote.«
Britta erschrak. Tote??!! Sie versuchte sofort erneut, ihn anzurufen. »The person you have called is temporarily not available.« So ein Mist! Die Unruhe breitete sich immer weiter in ihr aus. Sie blickte hilflos auf das nutzlose Handy in ihrer Hand. Was für Möglichkeiten hatte sie noch? Was konnte sie tun?
Patrick probierte ebenfalls, sie telefonisch zu erreichen. »The person you have called is temporarily not available.« Verdammt! Ein Kollege besaß noch ein Handy eines anderen Telefonanbieters, das die meiste Zeit funktionierte. Endlich erreichte er seine Britta und konnte ihr versichern, dass er so weit in Ordnung war. Er schilderte ihr in groben Zügen die Vorkommnisse und sprach auch kurz von den Toten. Schweren Herzens sagte er ihr Mitternachtsdate ab, obwohl ihm allein der Gedanke an das geplante Treffen in seinem jetzigen emotional angeschlagenen Zustand spürbar guttat. Aber es half kein Klagen, dienstliche Anforderungen überdeckten wieder einmal sein Privatleben. Es musste zurückstecken.
Ein Einsatzende war auch nicht abzusehen. Patrick konnte noch nicht mal mit Gewissheit sagen, ob er heute Nacht oder erst im Laufe des nächsten Tages nach Hause kommen würde. Wer konnte vorausahnen, was sich heute Nacht oder morgen in Duisburg abspielen würde? Wie würden Hunderttausende junge Menschen darauf reagieren, wenn sie von dieser Tragödie erfuhren? Denn viele der Partygäste kannten die Ausmaße der Tragödie immer noch nicht. Die Loveparade lief ja noch, und das Handynetz war zusammengebrochen. Wie würde die feiernde Menge auf die noch vor wenigen Stunden unvorstellbaren Todesnachrichten reagieren? Zumal ein großer Teil unter der Wirkung von Alkohol und anderen berauschenden Mitteln stand. Würden Trauer und Andacht vorherrschen oder Zorn und Zerstörungswut? Und wenn die schlimmsten Befürchtungen der
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