Inside Polizei
ins Bett zu legen. Ein Gespräch, eine innere Aufarbeitung entwickelte sich zwischen den Polizisten jedoch nicht. Niemand brachte nach diesem Tag dafür die Energie auf oder verspürte dazu einen inneren Drang. Es schien allen so wie Patrick zu gehen. Hauptsache, das Erlebte vergessen, verdrängen und irgendwie später in einen erholsamen Schlaf fallen. Das Beisammensein mit den Kollegen half dabei genauso wie die eiskalten Pils. Über die traumatischen Bilder und die Schicksale nachzugrübeln, dafür war morgen genug Zeit. Gegen 2.00 Uhr lag Patrick schließlich im Bett, und kurz darauf schlossen sich seine Augen, endlich konnte er schlafen, nach 22 Stunden Dienst.
Nach dem Frühstück im Hotel am nächsten Morgen setzte sich die Hundertschaft in Richtung Heimatbehörde in Marsch. Die Stimmung in Patricks und Ulrikes Gruppenwagen war gedrückt. Die meisten blätterten durch die BILD-Zeitung und erinnerten sich an eigene Eindrücke. Gesprochen wurde immer noch wenig miteinander, und wenn, dann nur oberflächliche Dinge. Die meiste Zeit schwiegen die Polizisten. Alle verspürten nur einen Drang: endlich nach Hause.
Gegen 14.00 Uhr schloss Patrick Britta in die Arme.
Während der nächsten Tage herrschte auf der Dienststelle eine hektische Einsatzaufbereitung. Funkbücher und Einsatzprotokolle wurden eingezogen und ausgewertet. Eine interne Befragung von Polizisten startete, um den gesamten Ablauf der Loveparade, des Polizeieinsatzes und der tödlichen Tragöde zu rekonstruieren.
Nach Meinung von Patrick und seinen Kollegen suchten die Ermittler jedoch in ihrer Hundertschaft vergebens nach Fehlern. Sie hatten ihrem Auftrag gemäß gehandelt und Straßenzüge abgesperrt und waren nur bei wenigen Anlässen polizeilich eingeschritten. Für ihn und seine Kollegen gab es keinen Zweifel an den wahren Schuldigen. Die Verantwortlichen saßen ihrer Meinung nach im Duisburger Rathaus und in den stylishen Büros des Veranstalters. Niemals hätte die Stadt Duisburg eine Genehmigung für dieses eingezäunte Veranstaltungsgelände, den Zugang über eine Tunnelröhre und das geschilderte Wechselkonzept der Besucherströme erteilen dürfen. Jetzt die Schuld für das Desaster bei polizeilichen Maßnahmen zu suchen, hielten alle Kollegen für vorgeschoben und ein weiteres peinliches Verhalten der Verantwortlichen, um von eigenem Fehlverhalten abzulenken. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass eine Polizeieinheit eine Straße falsch abgesperrt oder aufgrund von Kommunikationsproblemen oder einer irrtümlichen Lageeinschätzung zu früh freigegeben hatte, konnte dies unmöglich als Hauptursache für diese tödliche Tragödie angeführt werden. Solche Fehler ereigneten sich auch bei vergleichbaren Einsätzen, aber ohne diese tödlichen Folgen. Fehler, auch polizeiliche, müssen in dem Gesamtsicherheitskonzept der Einsatzführung berücksichtigt werden und werden dies auch stets. Beispielsweise durch zusätzlich verfügbare und nutzbare Ein- und Ausgänge, Ausweichrouten für An- und Abreisende und Auslaufflächen, in denen unverhofft entstandene Besuchermassen »geparkt« werden können. Dies alles war bei der Duisburger Loveparade aufgrund der gegebenen Örtlichkeiten nicht möglich gewesen. Ein tödliches Versäumnis.
Die innere Aufarbeitung der Schreckensbilder und das Verarbeiten dieser Tragödie durch jeden einzelnen Polizisten begannen Tage später in Hun dertschaftsbesprechungen und anschließend im kleineren Rahmen. Die Polizeiführung bot Unterstützung durch den psychologischen Dienst an. Doch niemand meldete sich. Vor seinen Vorgesetzten und den Kollegen wollte sich niemand die Blöße geben und die angebotene Hilfe anzunehmen. Erst später meldeten sich nach und nach Kollegen in Vier-Augen-Gesprächen und griffen dankbar nach der therapeutischen Hilfe. Sie hofften zu Recht, Wege aufgezeigt zu bekommen, wie sie mit den Bildern der Leichen in ihren Köpfen umgehen sollten, damit sie sie abschließend verarbeiten konnten. Einige Kollegen erzählten Patrick, dass sie therapeutische Gespräche nutzten, die meisten verschwiegen jedoch ihre Therapie. Sie fürchteten offenbar, Reputation und Standing in der männerdominierten Welt einer Einsatzhundertschaft zu verlieren. Aber ihre Sorge sollte sich als unbegründet erweisen, wie Ulrike und Patrick erleichtert feststellten. Niemand in ihrer Hundertschaft wurde gemobbt, ausgegrenzt oder Adressat dämlicher Sprüche, weil er Schwierigkeiten bei der Verarbeitung dieses Einsatzes
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