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Inside Polizei

Inside Polizei

Titel: Inside Polizei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schubert Stefan
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hatte. Vor zehn Jahren hätte das wahrscheinlich noch anders ausgesehen, aber die Zeit war auch in der Polizeibehörde nicht stehen geblieben. Sicherlich spielte auch der gestiegene Frauenanteil in der Hundertschaft dabei eine bedeutsame Rolle. Bei aller Kritik an der hohen Frauenquote und der dadurch entstehenden Problematik, insbesondere bei Einsätzen mit Gewalteinwirkungen, war die Tatsache unbestreitbar, dass der Einzug der Frauen bei der Polizei auch viele positive Veränderungen mit sich gebracht hat. Das Klima war menschlicher geworden, niemand musste ständig den harten Kerl markieren, sondern es war möglich, durchaus auch einmal Schwächen einzugestehen. Es wurde mehr miteinander gesprochen und diskutiert und nicht alles ausgesessen. Die oft zitierte höhere soziale Intelligenz der Frauen bewahrheitete sich auch in den Polizeibehörden.
    Zur Verarbeitung dieser Tragödie führte Ulrike mehrere offene Gespräche mit zwei ihrer engsten Freundinnen, zwei Kolleginnen. Sie besprachen sich abseits der Dienststelle, privat bei einem Glas Wein. Das ermöglicht es ihnen, einen inneren Schlussstrich unter diesen Einsatz, unter die grauenhaften Bilder der jungen Toten zu ziehen.
    Der Großteil der Männer in Patricks Einheit wählte den altmodischen Weg, sie redeten nicht mehr über diesen Einsatz und verdrängten das Gesehene. Offenbar waren sie in der glücklichen Lage, über einen Schalter im Gehirn zu verfügen, der mit dem Einsatzende die Bilder von Leichen, verletzten und verzweifelten Menschen aus ihren Köpfen verbannte. Oder spielten einige der Männer ihren Kollegen diesen souveränen Umgang mit dem Unglück vielleicht nur vor? Vielleicht täuschten sie ja nicht nur ihre Umwelt, sondern am meisten sich selbst?
    Nach Medienberichten über die gegenseitigen Schuldzuweisungen der Verantwortlichen und Vorwürfen an die Adresse der Polizei drängte der Einsatz wieder auf die Tagesordnung. Allerdings erzeugten die Meldungen nur Kopfschütteln und erboste Kommentare. Die Polizei hatte allein vor Ort die monatelangen Fehlplanungen ausbaden müssen. Für Patrick waren sie das letzte Glied in einer Kette aus vielen Fehlern und hatten nach besten Möglichkeiten an diesem Tag aussichtslos gegen den tödlichen Kardinalfehler ankämpfen müssen: Die Loveparade hätte niemals in Duisburg, niemals auf diesem Gelände stattfinden dürfen. Doch dafür übernahm niemand die Verantwortung, der Oberbürgermeister klebte an seinem Stuhl und seiner Pension, und der Veranstalter beerdigte sein millionenschweres Marketinginstrument für immer. Das war es dann erst einmal, eine peinliche Farce.
    Am folgenden Wochenende holten Patrick und Britta ihre Hochzeitstagsfeier nach, mit Scampi, Wein und Sex.
    Sie bot ihm zu Hause Hilfe bei der Verarbeitung an. Britta fragte mehrmals einfühlsam nach den Geschehnissen und offerierte sich als Gesprächspartnerin. Widerstrebend – er wollte diese Tragödie, diese Leichen von seiner Familie fernhalten – erzählte Patrick ihr einmal den Ablauf aus seiner Sicht, mit seinen Gefühlen und seinen Gedanken. Danach verbannte er diesen Tag und die Leichen für immer aus seinem Gehirn.
    Nicht allen Polizisten gelang es aber, diese Bilder aufzuarbeiten und aus ihren Köpfen zu entfernen. Auf den Fluren der Polizeipräsidien Nordrhein-Westfalens hielt sich eine Zahl hartnäckig: 300. 300 Polizisten schafften – oder wollten – es nicht, allein die schrecklichen Bilder und Ereignisse zu verkraften, und nahmen dankbar die angebotene therapeutische Hilfe an. Diese Zahl wurde allerdings weder offiziell genannt, noch dürfte es dafür jemals eine amtliche Bestätigung geben. Denn eine Einsatzhundertschaft hatte immer reibungslos zu funktionieren, und schon am folgenden Wochenende stand der nächste Großeinsatz bevor, eine Demonstrationsbegleitung. Nur kurze Zeit später startete die Fußball-Bundesliga in die neue Saison, und für jeden Polizisten bedeutete dies Wochenendschichten ohne Ende inmitten von Menschenmassen.
    In Patricks Hundertschaft kehrte nach einigen Wochen langsam die Routine zurück, und alle hofften inständig, in Zukunft von einer vergleichbaren Katastrophe verschont zu bleiben und nicht abermals unerwartet in einem Tunnel voller Leichen zu stehen. Einem Tunnel des Grauens.

3. Polizistin –
Deine Freundin und Helferin
    »Ich bin durchaus nicht zynisch,
ich habe nur meine Erfahrungen,
was allerdings ungefähr auf dasselbe herauskommt.«
    Oscar Wilde
    Kaltes Neonlicht reflektierte im

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