Inside Polizei
nun?
Paul spielte mögliche Optionen durch. Igor mit nur einem Arm festzuhalten, um so mit dem zweiten Arm die Handschellen aus dem Gürtel zu ziehen, das war unrealistisch. Das würde er nicht schaffen. Auch seine Kraftreserven waren schließlich mehr als ausgeschöpft. Und Karin, was war mit Karin? Hatte sie sich wieder erholt? Er drehte sich um und blickte Richtung Streifenwagen. Die eingeschalteten Scheinwerfer zerschnitten die finstere Nacht und blendeten seine Augen. Er erkannte nichts und ging davon aus, dass sich ihr Zustand nicht verbessert hatte. Und nun? Scheiße! Er konnte doch nicht stundenlang am Boden ringen und hoffen, dass die Leitstelle sein Fehlen irgendwann bemerkte und doch noch einen Streifenwagen zur Verstärkung schickte. Sein Gehirn ratterte und ratterte, aber ihm fiel einfach keine Lösung ein. Befand er sich in einer ausweglosen Lage?
Was wäre, wenn ...?
Nein, zu unrealistisch. Wer sollte dies und warum tun? Und doch, einen Versuch war es wert. Er hatte schließlich nichts zu verlieren. Paul veränderte seine Position, sein Blick wanderte umher. Er musterte den Menschenring der Russen, schaute ihnen direkt in die Augen, um sie anhand ihrer Mimik und Gesten einschätzen zu können. Die Beschimpfungen und Anfeuerungsrufe für Igor waren zwar verstummt, aber ihre Gesichtsausdrücke waren eindeutig. Sie spiegelten Abneigung, Antipathie, ja offene Feindschaft wider. Er galt hier nur als Eindringling, als Repräsentant einer verhassten Staatsmacht. Alle Mienen bekräftigten dies eindeutig. Alle bis auf eine, was war denn mit ihm?
Paul musterte den Mann in Sekundenschnelle. Er wirkte deutlich jünger – um die 19 Jahre alt – und war augenscheinlich kein Russe, eher ein Türke. Am meisten ermutigte Paul sein Augenausdruck, denn dort sah er keinen Hass, im Gegenteil, sein Blick wirkte neutral, und Paul meinte sogar, eine Prise Mitgefühl feststellen zu können. Oder irrte er sich?
Er hatte nichts zu verlieren. Also entschied sich Paul, es zu probieren. Nachdem er Blickkontakt hergestellt hatte, sprach er ihn an.
»He, du, komm mal her.« Er unterstrich seine freundlich gesprochene Aufforderung mit einem kleinen Kopfnicken. Der junge Türke sah ihn erstaunt und fragend an. Paul wiederholte seinen Appell. Nun bewegte sich der junge Mann, zögerlich und unsicher, aber er bewegte sich. Er überwand die drei Meter Distanz und beugte sich zu den Kämpfern herunter. Paul beäugte die Umgebung, aber von den Russen entschied sich niemand dafür einzugreifen.
Paul sah ihm direkt in die Augen und zischte ihm leise zu: »An meinem Gürtel am Rücken hängt eine kleine schwarze Tasche. Öffne sie!«
Er drehte sich etwas, um den Zugriff zu erleichtern. Der Türke öffnete den Verschluss. »Jetzt hol sie raus!«
Paul hoffte inständig, dass der Mann seiner Forderung nachkommen würde. Erleichtert spürte er dann die Berührung am Rücken und vernahm das metallische Klicken. Er drehte sich zu seinem Verbündeten um, sein Blick wanderte nach unten, und da lagen sie in der Hand seines neuen Partners. Erleichterung und Glücksgefühle strömten durch Paul. Aber er mahnte sich zur Vorsicht, denn noch war die Situation brenzlig und nicht überstanden. Ermutigend schaute Paul dem Mann in die Augen. »Nimm die Handschellen, und leg sie ihm an. Zuerst den rechten Arm.«
Paul stemmte Igor in Position, um das Anlegen zu vereinfachen. Igor wehrte sich aber immer noch. Mit letzter Kraftanstrengung presste Paul seine Arme eng zusammen. Sein neuer Verbündeter legte dem russischen Wüterich die Handschellen an, und Paul zog sie sofort nach. Fester als erforderlich, das Metall bohrte sich schmerzhaft ins Fleisch.
Jetzt war es geschafft. Paul raffte sich auf, streckte seinen Körper, scannte die Umgebung und seinen Körper. Die Uniform hing völlig verdreckt und nass an ihm herab. Sein Hemd war eingerissen und blutig. Das meiste Blut stammte von Igors Fäusten und von seiner Nase. Sie blutete und schmerzte wie sein gesamter Körper, aber so weit schien alles in Ordnung zu sein.
Die Russen hatten sich offenbar mit dem Ausgang des Kampfes abgefunden und verhielten sich passiv. Igor hockte besiegt zu seinen Füßen. Nun wendete sich Paul dem jungen Türken zu, legte ihm freundschaftlich seine Hand auf die Schulter, schaute ihm direkt in die Augen und sagte nur ein Wort: »Danke!«
Sein junger Mitstreiter nickte nur mit dem Kopf.
»Karin. Karin. Die blöde Kuh!«, schoss es ihm durch den Kopf. »Die kann sich auf was
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