Inside Polizei
Blicke bohrten sich in sein Gesicht. Langsam gingen sie einige Schritte zur Seite, sodass Paul den Kreis durchschreiten konnte. Nun befand er sich vier Schritte vor Igor, der den Unterlegenen weiterhin schlug. Dazu musste sich Igor mittlerweile bücken, da sein Kontrahent bereits auf dem Boden kniete. Nach einem weiteren verheerenden rechten Schwinger ließ er endlich von seinem Opfer ab und wendete sich dann Paul zu. Hinter dem Polizisten schloss sich der Kreis.
Karin blieb weiterhin wie gelähmt am Streifenwagen stehen. Sie war starr vor Angst, nicht in der Lage, ihrem Körper Befehle zu geben, um ihrem Kollegen beizustehen. Sie war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Situation erschien ihr völlig grotesk. So, als ob sie ihren Körper verlassen hätte und sich selbst dabei beobachtete, wie sie in diesem Einsatz versagte. Ihr Zustand verschlimmerte sich durch diese Erkenntnis noch, da ihr – trotz ihres mittlerweile tranceähnlichen Zustands – bewusst war, dass sie Paul eine möglicherweise lebenswichtige Rückendeckung verweigerte. Ein Teufelskreis.
Paul konnte darauf keine Rücksicht nehmen. Die sich zuspitzende Situation und die körperliche Gefährdung für den Unterlegenen erlaubten ihm keinen weiteren zeitlichen Aufschub mehr. Er musste seine Maßnahmen jetzt treffen und durchsetzen. Also hob er langsam seinen linken Arm, um schnell das Pfefferspray einsetzen zu können. Igor und ihn trennten nun nur noch zwei Schritte. Plötzlich sprang Igor mit einer unglaublichen Schnelligkeit nach vorne. Er überwand beinahe fliegend die Distanz zwischen ihnen und umschlang Paul mit beiden Armen. Paul gelang es gerade noch, den linken Arm nach oben zu reißen, sodass er eine Ladung Pfefferspray in Igors Richtung feuern konnte, es war aber zu ungenau, um seinen Angriff abzuwehren. Paul fluchte über sich selbst, dass er sich so hatte überrumpeln lassen.
Igors Aufprall war hart. Er verstärkte seinen Angriff, indem er sein ganzes Körpergewicht in die Attacke hineinwarf. Er war ein richtiger Brecher. Knapp 90 Kilogramm, kahl rasierter Schädel und berauscht von Wodka und Drogen.
Paul hielt seine 85 Kilogramm Körpergewicht mit Joggen, Krafttraining und Jiu-Jitsu-Polizeitraining gut in Form. Doch dieser Angriff hatte ihn überrascht, er konnte ihm nichts entgegensetzen. Sie schlugen beide heftig auf dem Rasen auf. Bodenkampf.
Igor lag halb auf ihm, würgte seinen Hals, umschlang seinen Kopf mit dem anderen Arm und drückte zu. Paul gelang es, seine Arme um den Hals seines Gegners zu legen und Igor mit aller ihm möglichen Kraft zu würgen. Beide würgten, zerrten und rissen an ihrem Rivalen, um ihm den größtmöglichen Schaden zuzufügen.
Noch zeichnete sich kein Verlierer in dem Kräftemessen ab, doch Paul lag unten und war somit eindeutig in der schlechteren Position. Unklar war auch, wie sich Igors Kumpane verhalten würden. Gedanken rasten durch Pauls Kopf. Was war, wenn sie sich in die Schlägerei einmischen würden? Wenn sie auf ihn eintreten würden? Oder wenn das Worst-Case-Szenario eintreten würde, sie seine Dienstwaffe aus dem Holster ziehen und damit unkontrolliert durch die Gegend ballern würden?
Paul probierte, sich trotz des Würgegriffs etwas umzusehen, um die Situation einschätzen zu können. Von der Überrumplung hatte er sich mental erholt und war nun wieder in der Lage, taktisch zu denken. Die Russen standen dicht gedrängt im Kreis. Die eine Hälfte feuerte Igor fanatisiert an, die anderen beschimpften Paul mit allem, was das russische Vokabular zu bieten hatte. Das einzig Positive an der Situation war, dass sich offenbar niemand in den Kampf einmischen wollte. Doch würde dies so bleiben?
Der Kampf dauerte nun schon endlos erscheinende zwei Minuten. Niemand war da, um ihm zu helfen. Wo, verdammt noch mal, blieb Karin? Karin, hämmerte es durchs Pauls Kopf.
Er versuchte sich zu drehen, was ihm nur unter stärkstem Körpereinsatz halbwegs gelang, und konnte so in Richtung Streifenwagen, in Richtung Karin sehen. Da, zwischen den Beinen der Schaulustigen hindurch, erblickte er die Umrisse ihrer Dienststiefel im Licht der Scheinwerfer.
»Karin! Karin!« Laut rief Paul um Hilfe, und sie hörte ihn doch, oder nicht?
Karin stand weiterhin völlig überfordert und apathisch vor dem Streifenwagen und fühlte sich immer noch, als ob sie ihren eigenen Körper verlassen hätte und unbeteiligter Zeuge dieser Szene wäre.
»Karin! Karin!«, die Rufe zerrten sie zurück in die
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