Inside Polizei
Kollegen. Die scheinbar politisch gewollte nachlässige Verfolgung von organisierter Kriminalität türkisch-arabischer Familienclans empfand er wie seine Freunde als handfesten Skandal, doch die Hells Angels rechnete er ebenfalls eindeutig der organisierten Kriminalität zu, und er begründete seine Ansichten anhand von klaren Beispielen. Mit dem rasanten Aufstieg des Hannoveraner Charters und den enormen Geldflüssen im florierenden Geschäft der Prostitution im Hannoveraner Rotlichtviertel startete er seine Ausführungen. Informationen, die er aus erster Hand bezog, denn sein Lieblingscousin verrichtete seinen Dienst in diesem Bereich bei einem Landeskriminalamt, eine richtige Bullenfamilie.
Beim Charter in Hannover, einer Stadt mit 521 000 Einwohnern, rechnet das LKA inzwischen 60 bis 70 Vollmitglieder. Dazu gesellen sich Hangarounds, Prospects und zahllose Supporters, sodass die Zahl der wirklich verfügbaren Männer sich eher in den Hunderten bewegen dürfte. Was aber ist geschehen, dass eine Stadt in der niedersächsischen Provinz das seit Ewigkeiten weltweit größte Charter, den Hells Angels Motorcycle Club New York, aus einer Weltmetropole mit über acht Millionen Einwohnern an Mitgliedern überflügelt hat?
Bei der Auswertung von abgehörten Telefonaten innerhalb der Rockerszene fällt auf, dass dieser Aufstieg durchaus kontrovers diskutiert wird. Es zeichnet sich eine Unzufriedenheit ab zwischen eher traditionellen Bikern, die den Ursprungsgedanken des Clubs, den Easy-Rider-Mythos, bewahren wollen, und anderseits von Mitgliedern, denen es scheinbar ausschließlich um materielle Vorteile geht und die deswegen eine ungezügelte Expansion bevorzugen. Die innere Balance der Bruderschaft scheint bereits seit Langem gekippt zu sein. Der meistgenannte Vorwurf richtet sich gegen die massive Anwerbung und Rekrutierung neuer Mitglieder. Traditionalisten zufolge wird zu oft und viel zu schnell die Ehre des Kuttentragens verliehen. Der Profit des Charters oder der persönliche Nutzen Einzelner wird über das Gesamtwohl der Gemeinschaft gestellt. Ein schwer zu widerlegender Vorwurf bezieht sich auf die Aufnahme von Mitgliedern, die weder eine Harley, geschweige denn überhaupt einen Motorradführerschein besitzen! Immerhin nennt sich diese Vereinigung Motorcycle Club.
Der internationale Rockerclub scheint sich in Deutschland unwiderruflich verändert zu haben, weg vom ehemaligen Charme und Mythos der freien wilden Männern, die auf ihrer Harley von einer Party und Orgie zur nächsten donnern, und hin zu ausufernden kriminellen Aktivitäten von immer mehr Chartern in der gesamten Republik. Dieser Mythos, seinerzeit auch mitbegründet durch die Verankerung der Biker in der Subkultur der amerikanischen Hippie-Bewegung der 1960er- und 70er-Jahre, scheint unumkehrbar in dem Geist einer kriminellen Vereinigung aufgegangen zu sein, die tief im Rotlichtmilieu verstrickt ist.
Bei einigen abgehörten Gesprächen sind offener Neid und Missgunst besonders auf finanziell ertragreich agierende Charter spürbar. Manche Rocker verbringen Stunden mit dem hochrechnen der angeblichen Gewinne, die einzelne Charter erwirtschaften sollen. Doch auch in den LKA-Büros glühen die Taschenrechner bei der versuchten Rekonstruierung der Finanzströme des Hannoveraner Rotlichtviertels.
Jeden Tag fließt dort Geld, viel Geld. Die Damen sind verpflichtet, ihre tägliche Zimmermiete von 100 bis 120 Euro zu bezahlen – egal, ob ein Freier bedient wurde oder nicht. Der gut bezahlte Wirtschaftler, fest angestellt oder Arbeitnehmer einer bestimmten Security-Firma, kassiert die Mieten und reicht sie an den Betreiber des Etablissement weiter, der wiederum ein stattliches Entgelt monatlich an den Immobilienbesitzer bezahlt. In Hannover sollen praktischerweise Betreiber und Besitzer größtenteils identisch sein, auch wenn Immobilienverwaltungsfirmen und Strohmänner dazwischengeschaltet seien sollen. Der Immobilienbesitzer bleibt der größte Profiteur dieses Geldkreislaufes.
Im Steintorviertel reiht sich ein Bordell an das nächste, insgesamt 14 Eros-Center buhlen dort um Freier. Die Etablissements variieren in der Zimmeranzahl zwischen 20, 30 und 40 Betten. Nehmen wir für eine Beispielrechnung ein 30-Betten-Haus an, bei dem durchschnittlich 20 Zimmer belegt sind. Das ergibt eine Tagesmieteinnahme bei 120 Euro Miete pro Zimmer von 2400 Euro insgesamt. Rechnet man diesen Betrag mit 30 Öffnungstagen im Monat hoch, schlagen am Ende des Monats 72 000
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