Inside Polizei
machte sich breit, und der zweite Tag schien dem ersten zu gleichen.
Sie verbrachten größtenteils ihre Zeit zusammen auf dem Polizeibulli, nur unterbrochen von einzelnen Streifengängen und abgelenkt durch Gerede, dummes Zeug, was einem gerade so durch den Kopf schoss. Zwischendurch wurde jede Halbgruppe nacheinander rausgelöst, um es den Einsatzkräften zu ermöglichen, zum Essen in die Kaserne zu fahren und die Toilette zu besuchen. Zu essen gab es heute Kassler, Kartoffelpüree und Sauerkraut, köstlich, das einzige Highlight und Ablenkung in zehn Stunden Streckenschutz am Arsch der Welt. Gegen 1800 gab es dann endlich etwas zu tun: Demonstrationsbegleitung in Dannenberg. Die Demo verlief allerdings absolut friedlich und unspektakulär. Einige hundert Demonstranten teilten ihre konträr zur herrschenden Politik verlautende Meinung mit, verhielten sich aber anständig. Genauso respektvoll und angemessen wurden sie von den eingesetzten Hundertschaften behandelt. Wie man in den Wald hineinruft, so ...
Nach 22.00 Uhr erreichten die Hundertschaften schließlich wieder ihr Containerdorf und ließen nach 17 Stunden Dienst in der 24 Stunden am Tag geöffneten Küche bei aufgewärmtem Kassler-Braten und Sauerkraut den Einsatztag ausklingen. Danach ging es in den völlig überhitzten Wohncontainer, dort mussten sie lüften und konnten dann endlich schlafen. Allerdings nur bis Samstagmorgen 0500, dann hieß es wieder abwechselnd anziehen, Frühstücksschlange, Kack-Schlange und erneut Posten beziehen. Zurück in die Ödnis, Langeweile und Eintönigkeit. Gegen Mittag kursierte ein Gerücht, dessen Ausbreitung die Einsatzführung unbedingt verhindern wollte. Es gelang ihnen zwar, dieses Vorkommnis vor der Öffentlichkeit und der Presse zu verheimlichen. Intern, unter den Polizisten, misslang das Totschweigen jedoch. Die Nachricht war in der Welt und sprang von Einsatzabschnitt zu Einsatzabschnitt, nicht über Funk, da alle Polizisten wussten, dass sämtlicher Funkverkehr abgehört und aufgezeichnet wurde. Patrouillen hielten kurz an, private Handys tauschten SMS aus, und ältere Kollegen, die die Einheiten mit warmem Tee versorgten, bestätigten letztendlich widerwillig die Meldung.
Es hatte einen Toten gegeben. Einen Kollegen, einen 50-jährigen Polizeihauptkommissar der Bundespolizei aus einer bayrischen Kaserne.
Gegen 1000 hatte er sein Büro in Dannenberg verlassen, war auf die Toilette gegangen, hatte seine Dienstpistole gegen den Kopf gerichtet und sich erschossen.
Niedergeschlagenheit und Ratlosigkeit breiteten sich bei den Einheiten aus. Da war es wieder, ein Thema, mit dem man sich nicht beschäftigen wollte, das man vermied, wenn es nur irgendwie ging. Die hohe Selbstmordrate von Polizeibeamten. Offiziell werden Selbsttötungen nicht nach Berufen erfasst, statistisch dokumentiert und ausgewertet. Es sind darüber keine Daten zu erfahren, weder bei Polizeibehörden direkt noch bei Gewerkschaftsvertretern. Und dies im Statistikland Deutschland!? Wahrheit oder eine gewollte Vertuschung?
Doch Marius und seine Kollegen waren sich sicher, dass ihr Beruf einen der vordersten Plätze einnehmen würde, wenn es solche Ranglisten irgendwo in den Hinterzimmern der Bürokratie gäbe.
Die Belastungen bei Einsätzen, die Gewalterfahrungen, der Stress, der Schichtdienst, die alles überlagernde Bürokratie und eine hohe Scheidungsrate ergaben eine tödliche Melange. Dazu kam eine immer verfügbare und geladene Pistole.
Im Jahr 2010 nahmen sich allein neun Bundespolizisten das Leben. Vier von ihnen stammten alle aus der gleichen Kaserne im Bayerischen Wald. Ein 20-Jähriger, ein 28-Jähriger und ein ebenfalls 50-jähriger Polizist wählten alle den gleichen Freitod. Sie erschossen sich mit ihrer Dienstwaffe.
Die Einsatzleitung entschied sich dafür, den Selbstmord in Gorleben vor der Öffentlichkeit und der Presse zu verheimlichen. Schließlich hatte die den Castor-Transport und den Polizeieinsatz sowieso schon in den Fokus einer deutschlandweiten Berichterstattung gestellt. Geschah dies aus Rücksichtnahme auf die Angehörigen? Oder trieb die Bürokraten lediglich die Sorge um ihr öffentliches Ansehen um? Passten die beunruhigend zahlreichen Selbsttötungen von Polizisten nicht zum selbst verpassten Image einer funktionierenden Behörde und eines attraktiven Arbeitgebers? Die Führung verhinderte mit dem Verschweigen des Todesfalles auf jeden Fall ein unausweichlich scheinendes negatives Presseecho und eine womöglich
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