Inside Polizei
Containers zu erlangen, das Bett unterhalb der zur Ablage umfunktionierten Matratze. Dieser Schlafplatz war dadurch quasi zu einem Einzelbett geworden und ermöglichte einen besseren Schlaf. Das doppelt belegte Etagenbett ächzte und quietschte nämlich bei jeder Bewegung des jeweiligen Bettnachbarn, keine guten Voraussetzungen für einen erholsamen Schlaf.
Die Matratzen waren dünn, durchgelegen und unappetitlich. Zudem musste jeder sein privates Bettzeug durch halb Deutschland mitschleppen, denn dieses fehlte komplett. Fernseher, Radio oder sonstige Unterhaltungs- und Ablenkungsmöglichkeiten waren ebenfalls nicht vorhanden. Ein Neon-Flackerlicht erhellte die Behausung. Die fest installierte Heizung, ein Elektrokonvektor 2,5 kW mit Thermostat, kannte offenbar nur zwei Einstellungen: brühend heiß oder eiskalt. Die Folge war, dass die Container nach einem kräftezehrenden, achtzehnstündigen Dienst auf gefühlte 100 Grad erhitzt waren und die Containerbewohner die Heizung ausstellen und lüften mussten, um überhaupt schlafen zu können. Dies wiederum führte dazu, dass der Container in kürzester Zeit komplett auskühlte, und dies bei Nachttemperaturen um die null Grad. Eine doch sehr gewöhnungsbedürftige Unterkunft.
Nun, am ersten Tag des für fünf oder sechs Tage geplanten Einsatzes, begann auch schon die Langeweile. Denn der Donnerstag war nur als Anreisetag vorgesehen, und das Einzige, was erledigt werden musste, war bereits geschehen. Taschen in den Container schleppen, Bett beziehen, mehr gab es nicht zu tun. Dabei zeigte die Uhr erst 15 Uhr an oder taktisch ausgedrückt: 1500, »eins fünfhundert«. Also gammelte jeder auf seiner Matratze herum oder warf einen Blick in ein Buch.
Um 1800 wurde die Langeweile von dem Tageshighlight unterbrochen, dem Abendbrot. Marius suchte mit seinen Kollegen innerhalb der Bundeswehrkaserne den riesigen, zur Kantine umgewandelten Saal auf. Er hoffte inständig auf keine böse Überraschung, sondern den gleichen Cateringservice wie letztes Jahr. Beim Eintreten in den Saal war er kurz angespannt, denn gutes oder schlechtes Essen war entscheidend für die Stimmung der Beamten und würde das Gelingen oder Scheitern eines mehrtägigen Einsatzes beeinflussen. Erleichtert erkannte er einige Gesichter wieder und freute sich darüber, das gleiche nette und gute Personal wie beim letzten Einsatz in Gorleben anzutreffen. Auch die einzelnen Verpflegungsstationen standen wie 2009 bereit.
»Na«, dachte er erfreut, »das ist doch schon die halbe Miete.«
Marius war niemand, der jammerte, er erfüllte bestmöglich und motiviert seine Aufträge, ohne ein Heißsporn zu sein, wie es sie gerade in geschlossenen Einheiten wie Hundertschaften durchaus gab. Seine Gruppenkollegen und er waren wie Prototypen aus dem Polizeihandbuch, Lamentieren und Klagen über Vorgesetzte oder Politiker und deren Entscheidungen gab es bei ihnen nicht. Diskussionen über Atompolitik, Laufzeitverlängerungen oder einen Atomausstieg überließen sie Gewerkschaftsvertretern von GdP (Gewerkschaft der Polizei) und DPolG (Deutsche Polizeigewerkschaft).
Der Castor-Transport fand noch Monate vor der Atomkatastrophe in Fukushima statt, bevor ein neuer, breiter gesellschaftlicher Konsens über einen Atomausstieg bestand. Somit war Gorleben nur ein Einsatz von vielen, der über die Bühne gebracht werden musste wie jeder andere Einsatz auch. Es interessierte sie genauso wenig, ob es gegen Rechts- oder Linksextreme oder Fußball-Hooligans ging. Der Job musste erledigt werden. Auftrag blieb Auftrag.
Politiker und hohe Polizeiführer schwadronierten zwar gerne öffentlich wirksam über den mündigen Beamten, den Staatsbürger in Uniform, doch dies hatte mit der Realität in einer Polizeidienststelle wenig zu tun. Eine geschlossene Einsatzhundertschaft war kein Debattierclub, sondern eine streng hierarchisch organisierte Behörde, hier herrschten Befehl und Gehorsam.
Am Freitag, den 5.11.10, startete für Marius und seine Kollegen der diesjährige Gorleben-Einsatz. Ihr Vorbefehl hatte sich nicht geändert: ab 0700 Streckenschutz der Gleisanlagen in ihrem Einsatzabschnitt. Dies bedeutete Wecken um 0500. Die drei Polizisten legten nacheinander ihre Einsatzuniformen an und bepackten ihr Einsatzfahrzeug, das eigentlich für bis zu neun Beamte vorgesehen war. Danach ging es in die Kantine, Essen fassen und auf Vorrat speisen, denn niemand konnte mit Bestimmtheit sagen, ob und wann sie heute noch eine weitere Mahlzeit
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