Inside Polizei
folgende Diskussion über unbestreitbare Missstände in den Polizeibehörden.
Marius kam das alles sehr bekannt vor und erinnerte ihn schlagartig an seine Ausbildung. In der Kaserne hatte sich damals ein 22-jähriger Lehrgangsteilnehmer wegen Liebeskummer erschossen, denn seine Freundin hatte ihn verlassen. Ein Ausbilder, ein gestandener Polizeihauptkommissar, hatte daraufhin seine sarkastischen Lebensweisheiten und Kommentare vor der Klasse der jungen Polizeianwärter abgegeben, die sich dauerhaft in Marius’ Gedächtnis gebrannt hatten:
»Wenn Sie schon meinen, sich erschießen zu müssen, dann machen Sie das bitte richtig, und belasten Ihre Angehörige nicht mit einem Pflegefall in der Familie. Ein Kollege von mir hatte bei einem Selbstmordversuch die Waffe zu dicht an seinen Augen angesetzt. Der Schuss verfehlte den Großteil seines Gehirns, und er überlebte schwer verletzt, erblindete jedoch komplett und ist zeitlebens pflegebedürftig.
Erschießen Sie sich bitte aus Rücksicht auf Ihre Angehörigen auch nicht zu Hause. Den Anblick eines aufgeplatzten Schädels mit all dem Blut, Gehirn und den Knochensplittern ersparen Sie Ihren Familien besser, und schließlich muss die Sauerei ja später noch jemand wegmachen. Erschießen Sie sich also nicht zu Hause, sondern suchen Sie sich am besten einen gefliesten Raum, eine Toilette oder besser noch einen Duschraum. Dann kann später der ganze Dreck einfach weggespült werden.
Wenn Sie schon meinen, sich erschießen zu müssen, dann gehen Sie bitte auf Nummer sicher. Füllen Sie Ihren gesamten Mund- und Rachenbereich mit Wasser. Danach stecken Sie sich die Pistole in den Mund und drücken ab. Wegen der Wasserverdrängung, ausgelöst durch die hohe Mündungsgeschwindigkeit des Projektils, zerplatzt Ihr Kopf wie eine Wassermelone nach dem Fall aus dem 12. Stock. Aber denken Sie an den gefliesten Raum.«
Der Polizeialltag lässt sich anscheinend nur mit einer Überdosis Zynismus bewältigen.
Ja, die Ausbildung war kein Zuckerschlecken gewesen. In dem riesigen Polizeikomplex waren Hunderte Ausbildungsteilnehmer für den gehobenen und höheren Polizeidienst sowie eine Einsatzhundertschaft kaserniert, und Fortbildungskurse wurden durchgeführt. Völlig unterschiedliche Menschentypen trafen in der Kaserne aufeinander, und die Ausbildungsverordnung der Polizei verknüpfte ihr Schicksal untrennbar miteinander.
Die Öffentlichkeit lässt sich in ihrer Wahrnehmung und Meinung über Polizisten zu leicht und vorschnell von stereotypen Ansichten leiten. Alle Polizisten tragen die gleiche Uniform, üben den gleichen Beruf aus, haben den gleichlautenden Amtseid geschworen und kämpfen mehr oder minder motiviert gegen das Verbrechen. Polizisten werden daher oft nur als funktionierende, gleichgeschaltete anonyme Masse wahrgenommen. Ein Leben als Individuum wird ihnen nicht etwa per se abgesprochen, weite Teile der Medien und der Bevölkerung ziehen solche Gedankengänge nicht einmal in Betracht, so abwegig scheinen ihnen diese Überlegungen zu sein.
Doch diese Vorstellungen spiegeln nicht das reale Leben in einer Polizeibehörde mit über 1500 Bediensteten wider. In Marius’ Ausbildungslehrgang blieben beispielsweise immer mehr Stühle frei: zuerst die der Polizeischüler, die wegen schlechter Leistungen vom Unterricht entbunden wurden, danach folgten schon die Klassiker der Entlassungsgründe während der Ausbildungszeit: Trunkenheit am Steuer oder die Ermittlungen infolge einer Disco-Schlägerei überführten einen Polizeischüler der Täterschaft. Einer seiner Kumpels wurde nach Beendigung der Polizeiausbildung bei einem Pkw-Aufbruch festgenommen, drei Wochen später musste er bereits seinen Spind räumen. Zwei junge Burschen hängten einer unbeliebten farbigen Mitschülerin vergammelte Bananen über die Türklinke ihres Zimmers in der Polizeikaserne. Ihr Adoptivvater, ein hohes Tier in der Landespolitik, schaltete sich in diesen Vorfall ein. Die Polizeischüler wurden noch in der Phase der Abschlussprüfungen aus dem laufenden Unterricht geholt und umgehend aus dem Dienst entfernt. Von all diesen Vorgängen bekommen Medien und Öffentlichkeit nichts mit, es wird intern geregelt und verheimlicht, wann immer es geht. Die schmutzige Wäsche und die unangenehmen Geschichten im Innersten der Polizeiwelt behandelten die Führungsbeamten einzig und allein nach ihrem Gusto. Nichts, aber wirklich auch nichts sollte den Ruf der Polizeibehörde in der Öffentlichkeit beflecken und
Weitere Kostenlose Bücher