Inside Polizei
elitäreren BFE-Hundertschaften, die Beweis-, Sicherungs- und Festnahmeeinheiten.
Über diese Einheiten kursieren zurzeit viele Gerüchte innerhalb der Polizei. Einige Kollegen erzählten von einer sensiblen Anfrage, die im deutschen Innenministerium in Berlin vorliegen soll. Wegen befürchteter Hooligan-Ausschreitungen während der Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine und der damit überforderten einheimischen Kräften soll das polnische Innenministerium in Deutschland nach hundertfacher tatkräftiger Unterstützung angefragt haben. Deutsche Polizeihundertschaften in Warschau, Danzig und Lodz??
Sollte sich das bewahrheiten, dürfte auf viele Polizisten ein heißer Sommer 2012 warten, denn dieser Einsatz wäre äußerst brisant, einmal wegen des Aufeinandertreffens von englischen, polnischen und deutschen Krawallbrüdern und dann wegen der historisch sicherlich nicht einfachen Vergangenheit.
Aber diese noch nicht offiziell bestätigte Anfrage spielte in Gorleben keine Rolle, hier ging es darum, den reibungslosen Transport des verstrahlten Atommülls zu gewährleisten. Diesen Einsatz nahmen die vielen Polizisten ganz unterschiedlich wahr. Während es an einer Stelle absolut ruhig bleiben konnte und man seine Langeweile mit Blödeleien oder einer Tasse Kaffee zu vertreiben versuchte, knallten Hundertschaften mit Blaulicht und Sirene an einem vorbei, als ob der 3. Weltkrieg ausgebrochen wäre. Staunend blickte man diesen hinterher und fragte sich: »Was wissen die, was ich nicht weiß? Wo geht die Reise hin?«
Da die riesigen Einsatzabschnitte und Hundertschaften unterschiedliche Funkkanäle zugeteilt bekamen, hinkte der eigene Wissensstand den aktuellen Geschehnissen oft hinterher. Eine schnelle und umfangreiche Informationsweitergabe der Einsatzleitung an alle Kräfte scheint generell nicht weit vorne auf der Prioritätenliste von Polizeiführern zu stehen. So erfuhren Marius und seine Kollegen erst im Containerdorf von den aktuellen Vorkommnissen. Die Aktion »Castor-Schottern« war gestartet worden. Über 1000 Aktivisten, die ihre Attacke wochenlang im Internet koordiniert hatten, hatten angegriffen. Doch die eingesetzten Polizeikräfte hatten entschlossen dagegengehalten und Unterstützung durch zu Hilfe eilende BFE-Hundertschaften erhalten. Abseits von Fernsehkameras und den meisten Pressefotografen war die Situation eskaliert und hatte ihren Tribut gefordert. Neben zahlreichen durch Stein- und Flaschenwürfe verletzten Beamten gab es nach eigenen Angaben 950 militante Aktivisten, die durch Pfefferspray und Tränengas Augenverletzungen erlitten hatten, und zudem wurden 29 Kopfplatzwunden, 16 Knochenbrüche und drei Gehirnerschütterungen beklagt. Doch dies sollten nicht die letzten Verwundeten bleiben.
Die Polizeiführung verteidigte nach Vorwürfen in der Presse ihr Einschreiten mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray. Der Lüneburger Polizeipräsident meinte dazu, die Polizei könne nicht zusehen, wie Atomkraftgegner Schienen verbögen und Steine aus den Gleisen räumten. Straftaten könnten nicht geduldet werden. Außerdem seien Polizisten attackiert und mit Steinen beworfen worden. Die Lage eskalierte.
Der Zug mit den elf Castoren und 123 Tonnen hochradioaktivem Atommüll passierte Marius’ Einsatzabschnitt ohne Probleme. Nach 17,5 Stunden Streckenschutz wurden sie daher aus ihrem jetzt nicht mehr schützenswerten Abschnitt entlassen, aber weiterhin in Einsatzbereitschaft gehalten. Sie durften allerdings in die Kaserne fahren und etwas essen. Die Kantinenköche gingen auf Nummer sicher und servierten das Lieblingsgericht vieler Einsatzkräfte: Currywurst und Pommes.
Jetzt gegen 2200 sehnte sich jeder nach seiner Schlafblechbüchse, aber der Tag nach über 21 Stunden Dienst war noch nicht zu Ende, noch lange nicht. Die angeordnete Schutzausrüstung drückte auf Rücken, Schulter und Beine und schien mit jeder verstreichenden Stunde schwerer zu werden.
Marius und seine Hundertschaft wurden alarmiert und mit Blaulicht und Martinshorn nach Harlingen beordert. An der Bahnstrecke zwischen Lüneburg und Dannenberg war es zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen, als über 3000 Demonstranten die Schienen gestürmt und diese dauerhaft besetzt hatten. Dabei war eine Atomkraftgegnerin unter ein Pferd der Reiterstaffel gerutscht und hatte schwere Verletzungen erlitten. Um Harlingen wurden daraufhin Tausende Polizeikräfte für die notwendig gewordene Mammuträumung
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