Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)
schmolz die Liste der Unterzeichner von anfänglich 48 Unterschriften auf nur noch 15. Eine demokratische Erfahrung, die kein Schulbuch plastischer und eindringlicher würde darstellen können.
Und wir machten einen bedauerlichen Fehler. In der Annahme, die übrig gebliebenen 15 Unterzeichner – und da waren immerhin auch die in der Hierarchieleiter vergleichsweise niedrig stehenden Fahndungshelfer dabei – würden aufgrund der niedrigen Anzahl womöglich Konsequenzen ertragen müssen, zogen wir das Schreiben zurück. Hätten tatsächlich 40, 50 oder gar alle 70 Mitarbeiter den Brief an den Ministerpräsidenten unterzeichnet, wären durch die komplette Solidarität mutmaßlich negative berufliche Konsequenzen ausgeblieben; aber so glaubten wir, die wenigen Unterzeichner in ihrer Existenz zu gefährden, was aus heutiger Sicht wohl ein Irrtum war, denn fast alle, die am Ende noch auf dem Schreiben zu finden waren, das nie abgeschickt wurde, sahen sich bald mit Versetzungen, Schikanen und Mobbing konfrontiert. Aber das wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Um diese traurige Angelegenheit zu einem schnellen Ende zu bringen, wurde der Brief für alle ehemals Beteiligten kopiert und als Erinnerungsstück für vermeintlich couragiertere Tage an alle verteilt – was sich auch als Fehler erweisen sollte. Obwohl die Mehrheit aller Mitarbeiter ihre Unterschrift verweigert hatte, fühlten sich einige offenbar bemüßigt, den Brief an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Nur Stunden später, nachdem der Brief an alle verteilt worden war, stand er schon im Internet.
In diesen Tagen zerbrach eine einst starke, mutige und erfolgreiche Steuerfahndungsstelle in ihre Bestandteile. Eine bis dahin geschlossene, schlagkräftige Truppe war mit einem Mal zerfressen von Misstrauen, Argwohn und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Wer war nun der Judas in dieser Behörde? Wer spielte das Schreiben der Amtsleitung zu? Wer ließ sich wie und vom wem beeinflussen? Wer behauptete, das Schreiben ganz ohne Druck von oben abgelehnt zu haben? Von wem ging der Todesstoß aus? Von dem Sachgebiet, das sich vollständig verweigert hatte, oder von all jenen, die ihre Unterschrift wieder zurückgezogen hatten?
Intrigen, Gerüchte, Getuschel, bis dahin für unmöglich gehaltene Fraternisierungen, Anfeindungen – die Steuerfahndung Frankfurt offenbarte wie in einem Zeitraffer fast alle Abgründe der menschlichen Gesellschaft. Manch einem wurde plötzlich klar, wie das Gros der Deutschen im Dritten Reich gleichgültig und bisweilen engagiert mitmarschieren konnte, andere waren nur noch von ihrem Frust und den persönlichen Enttäuschungen gelähmt. Im Grunde war dies das Ende der Steuerfahndung Frankfurt am Main V. Obwohl der offizielle Todesstoß erst noch folgen sollte …
Endgültig weg
Rudolf Schmenger erfuhr am 31. Juli 2003, nur einen Tag vor seinem 25. Dienstjubiläum, von seiner endgültigen Versetzung. In der Steuerfahndung machte sich wieder Niedergeschlagenheit breit. Der nächste Fahnder, der nicht zurückkehren sollte. Und erneut trafen es einen außerordentlich guten.
Da ich im Jahr 1991 mit gerade einmal 42 Jahren einen Herzinfarkt erlitten hatte, galt ich fortan zu 70 Prozent als schwerbehindert. Nicht, dass man nachdenklich genug wird, wenn man in jungen Jahren einen Infarkt bekommt, man erhält fortan auch noch den Stempel einer Behinderung. Im Alltag hatte dies keine Auswirkungen, ich verrichtete meinen Dienst wie jeder gesunde Beamte auch, nur hatte ich eben diesen Eintrag in meiner Akte.
Mitte der 90er-Jahre ließ ich mich dann dazu überreden, ehrenamtlich die Rolle des Schwerbehindertenvertreters zu übernehmen, was ich anfänglich zunächst für keine gute Idee hielt, weil doch die Geschichten und Mythen, die sich auch in der Behörde um die eiskalten und knallharten Steuerfahnder rankten, kaum mit der Rolle eines verständnisvollen Schwerbehindertenvertreters in Einklang zu bringen waren. Aber, es waren eben nur Mythen, und Fahnder waren durchaus von menschlicher Natur. In der offiziellen Behördensprache hieß die Rolle »Vertrauensperson der schwerbehinderten Verwaltungsangehörigen bei dem Finanzamt Frankfurt am Main V«, und als solcher sah ich mich verpflichtet, in der Sache Rudolf Schmenger schlichtend und vermittelnd einzugreifen, denn er galt aufgrund seines schweren Nierenleidens ebenso zu 70 Prozent als schwerbehindert. Und das hatte die Behördenleitung offenbar übersehen.
Nach einem Erlass und dem
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