Inside WikiLeaks
für uns sehr enttäuschend. Der Artikel suggerierte, dass die Geschichte primär auf seinen eigenen Quellen basierte. Hintergrundinformationen zu WikiLeaks fehlten, und ich brauchte ziemlich lange, um die prominente Stelle zu finden, die er uns versprochen hatte: »Die Vertragsunterlagen waren jetzt Betreibern der auf Geheimdokumente spezialisierten Website WikiLeaks übermittelt worden, die sie in diesen Tagen vollständig online stellen will.«
Ich versuchte mich zu beruhigen. Was regte ich mich über Tillack so auf? Wir würden einfach nie wieder mit ihm zusammenarbeiten. Schon die Mail, die er mir auf meine erste Rückfrage geschickt hatte, sagte eigentlich alles:
»Es war das Maximum, das ich herausholen konnte. Meine Chefs fragten mich, warum wir überhaupt WikiLeaks erwähnen. Und weil diese Dokumente eine andere Dimension haben als ein deutscher Pharmakonzern*, werden Sie in diesem Fall nicht in der Wiwo erwähnt, sondern im stern mit einer verkauften Auflage von einer Million und sieben Millionen Lesern! Beste Grüße, Hans-Martin Tillack.«
Wir haben dennoch viele gute Erfahrungen mit Medien gemacht. Die Wirtschaftswoche etwa hielt sich stets an alle Abmachungen, auch Zeit Online im Fall des Feldjägerberichts zur Bombardierung von zwei entführten Tanklastern im afghanischen Kundus.
Dieser Bericht über die möglichen Verfehlungen und Vertuschungsversuche von Bundeswehr-Oberst Georg Klein lag bereits einer Handvoll gut unterrichteter Medien vor. Doch anstatt die Informationen der Öffentlichkeit vollständig zugänglich zu machen, zitierten Bild, Spiegel und Süddeutsche Zeitung über eine Woche lang immer nur genüsslich und in kleinen Häppchen daraus. Zeit Online hingegen verwies auf das vollständige Dokument, das wir parallel bei WikiLeaks freigeschaltet hatten, damit sich die Leser selbst ein Bild machen konnten.
So sollte es in Zukunft noch häufiger ablaufen: Wir machten Quellen vollständig zugänglich, die von den Medien nur auszugsweise zitiert worden waren, etwa, weil ihnen die Plattform dazu fehlte, es selbst zu publizieren, weil sie juristische Konsequenzen fürchteten, oder noch häufiger, weil einzelne Journalisten ihr exklusives Material nicht mit den Kollegen teilen mochten.
Wir mussten auch lernen, welche Themen in den Medien gut ankamen und welche weniger Aufmerksamkeit erregten. Auf die zwei Seiten Toll Collect folgte im Stern damals ein ausufernder Bericht über alternative Religionen, der vor allem durch seine Bebilderung entzückte: nackte Frauen, die Zigarre rauchten.
Das mussten wir hinnehmen. Es waren nicht unbedingt die inhaltsreichen Leaks, die Aufmerksamkeit erregten, sondern die, über die man am meisten und am einfachsten reden konnte. So interessierte sich die Öffentlichkeit immens für den gehackten E-Mail-Account von Sarah Palin. Die Brisanz dieses Leaks war nicht sonderlich groß, man konnte lediglich kritisieren, dass Palin einen privaten Account genutzt hatte, um berufliche Mails zu verschicken. In dem Account fanden sich private Fotos ihrer Kinder. Das wurde dann in den Medien lang und breit diskutiert.
In diesem Punkt fand ich den Leak wirklich schwach, in seiner Relevanz sogar fragwürdig. Es entsprach allerdings zum einen unserem Vorgehen, alle Dokumente, die bei uns eingingen, unzensiert zu veröffentlichen. Zum anderen hatte das auch Strategie: Wir versuchten, mit jedem Leak die Grenze des Machbaren ein bisschen weiter auf neues Terrain auszuweiten. So konnten wir beim nächsten Leak gleich noch einmal nachlegen.
Was ist öffentlich, was ist privat? Um diese Fragen wollten wir eine Kontroverse entfachen. Und es war allemal besser, die Debatte anhand des Mailkontos von Sarah Palin zu führen als anhand der Daten privater Konsumenten. Außerdem waren wir davon überzeugt, das Projekt zu stärken, indem wir immer wieder die Grenze des Akzeptablen verschoben und dabei feststellten, dass wir damit durchkamen. Wir wurden immer dreister. Niemand konnte uns hindern.
Das Interesse an den im November 2009 veröffentlichten Akten zu Vorgängen bei einem deutschen Pharmakonzern war dagegen erstaunlich gering. Die Ermittlungsakten waren einer meiner Lieblings-Leaks 2009. Sie lesen sich wie ein Paradefall der Bestechung und sind auch ohne lange Einarbeitung für jedermann verständlich.
Pharmavertreter hatten Ärzte dafür bezahlt, dass sie vermehrt Medikamente dieses Herstellers verschrieben. Wir veröffentlichten die 96-seitige Ermittlungsakte der zuständigen
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