Dokumente zweckentfremdeten, um die öffentliche Meinung zu manipulieren.
Ende Dezember 2008 waren Julian und ich erneut beim Chaos Communication Congress zu Gast. Unser Vortrag stand im Gegensatz zum letzten Jahr in der offiziellen Programmankündigung, und er war sehr gut besucht. Wir waren von unserem kleinen Kellerraum aufgestiegen. Diesmal saßen Julian und ich zusammen auf der Bühne des Hauptsaals. Anstatt der zwanzig, die uns vor einem Jahr zugehört hatten, kamen diesmal fast neunhundert Zuhörer. Mehrmals ertönte aus den Saal-Lautsprechern eine knacksige Stimme, die verzweifelt darum bat, die Fluchtwege doch bitte freizuhalten. Ein ziemlich vergebliches Unterfangen.
Die Leute stapelten sich auf den Treppen und in den Gängen vor dem Konferenzraum. Wir sorgten für einige Lacher, als wir aus einer wenige Tage alten Beschwerde-Mail des Bundesnachrichtendienstes vorlasen – Ernst Uhrlau, der damalige BND -Chef, hatte sich persönlich bei uns gemeldet. Und zwar mit einer auf Deutsch verfassten Mail:
»An: wikileaks@jabber.se
Von: leitungsstab IVBB-BND-BIZ/BIZDOM
Datum: 12/16/2008 01:15PM
Thema: VS-eingestufter Bericht des Bundesnachrichtendienstes
Sehr geehrte Damen und Herren,
auf Ihrer Homepage ermoeglichen Sie den Download eines VS-eingestuften Berichts des Bundesnachrichtendienstes. Ich fordere Sie hiermit auf, diese Moeglichkeit unverzueglich zu sperren. Ich habe bereits die Pruefung strafrechtlicher Konsequenzen veranlasst.
Mit freundlichen Gruessen
Ernst Uhrlau
Praesident des Bundesnachrichtendienstes«
»From: Sunshine Press Legal Office
To: [email protected].de
Cc: wl-office@sunshinepress.org, wl-press@sunshinepress.org, wl-germany@sunshinepress.org
Date: Thu, 18 Dec 2008 09:35:54
Subject: Re: WG: Classified report of the Bundesnachrichtendienst
Dear Mr. Uhrlau,
We have several BND-related reports. Could you be more precise?
Thank you.
Jay Lim.« 5
»To: Sunshine Press Legal Office
Date: Thu, 19 Dec 2008 17:59:21
Subject: Antwort: Re: WG: Classified report of the Bundesnachrichtendienst
Dear Mr. Lim,
As of up today you still provide the option of downloading a classified report of the BND under the following address:
http://www.wikileaks.com/wiki/BND_Kosovo_intelligence-report,_22_Feb_2005.
We kindly ask you again to remove the file immediately and all other files or reports related to the BND as well. Otherwise we will press for immediate criminal prosecution.
Yours sincerely,
Ernst Uhrlau
President of the Bundesnachrichtendienst« 6
Für uns war eine solche Rückmeldung immer die beste Möglichkeit, die Echtheit eines Dokuments zu beweisen. Ging bei uns die Drohung ein, man möge doch ein Dokument schnellstmöglich von den Seiten entfernen, fragten wir – selbstverständlich immer freundlich um Klärung bemüht –, ob der Kläger uns belegen könne, dass er überhaupt das Copyright an besagtem Papier besäße. Den Schriftverkehr veröffentlichten wir dann ebenfalls, insgeheim dankbar, dass uns die Gegenseite so willig die Arbeit abnahm.
In dem Leak ging es um die Verwicklungen des BND in die Kriminalitätsbekämpfung im Kosovo. Jemand hatte uns zudem ein internes Papier der Deutschen Telekom zugespielt, das zwei Dutzend geheime IP -Adressbereiche enthielt, die der BND zum Surfen im Netz benutzte. Wir erlaubten uns damit eine kleine Spielerei: Mit dem Wiki-Scanner ließ sich nachverfolgen, auf welchen Seiten der Online-Enzyklopädie Wikipedia von einem dieser IP -Adressbereiche Änderungen an Einträgen vorgenommen worden waren. Unter anderem hatte man sich an Einträgen zu Militärflugzeugen und Kernwaffen zu schaffen gemacht, aber auch an dem Eintrag zum BND selbst.
Noch viel lustiger waren die Korrekturen zum Stichwort Goethe-Institut. In dem Artikel fand sich früher ein Satz, dass viele dieser Institute weltweit inoffiziell auch als Anlaufstellen des BND genutzt wurden. Dies hatte man in den exakt gegenteiligen Satz umgewandelt: »Auslandsniederlassungen des Goethe-Instituts dienen jedoch nicht als inoffizielle Residenturen des BND .« Inzwischen ist der Hinweis ganz von der Seite verschwunden.
Außerdem gab es über die IP -Adressen Kontakt mit einem Berliner Escort-Service. Weil man immer noch mit den Methoden der Venusfalle arbeitete – wie zu Hochzeiten des Kalten Krieges? Oder weil man sich dort selbst mit Frauen