Inside WikiLeaks
mussten. »Wann machen wir weiter?«, fragte ich.
Ich hatte unsere Aufgabe darin gesehen, das Gesetz mit auf den Weg zu bringen, von nun an hätte es alleine weiterlaufen sollen. Es gab schließlich auch die Isländer, die sich darum kümmerten. »Weshalb ist jetzt nicht mal gut damit?«, fragte ich.
Aber Julian konnte und wollte nicht loslassen. Er betrachtete IMMI als seine Angelegenheit. Später sollte er das ganze Projekt durch undiplomatische Äußerungen sogar politisch beschädigen.
Wir waren alle keine einfachen Menschen. Und wenn der Druck wuchs, bekamen die persönlichen Bindungen an den Sollbruchstellen erste Risse. Das betraf hauptsächlich Julian und mich. Die anderen waren dabei eher Statisten, die den Streitereien hilflos zusahen. Zum Ende hin hat Julian mir vorgeworfen, dass ich die Perspektive verloren hätte. Ich würde nicht mehr das große Ganze sehen, sondern mich auf den Kleinkram einschießen. An ein einschneidendes Ereignis kann ich mich gar nicht erinnern. Ich weiß auch nicht mehr, woran sich unsere ersten richtigen Streits entzündeten, vermutlich an Banalitäten wie geöffneten Fenstern.
Ich hatte zudem angefangen, mich zu Julians Auftreten kritisch zu äußern. Ich habe ihm zum Beispiel gesagt, er solle mehr auf sein Äußeres achten. Er reagierte darauf schwer getroffen. Aber sollte man wie ein Penner zu einer Justizministerin gehen?
Zudem kam in Island diese leidige Diskussion auf, wer »Senior« und wer »Junior« sei. Julian stellte eine ausgefeilte Hackordnung auf, die festsetzte, wer wen kritisieren durfte und wer nicht – mit ihm an der Spitze der Pyramide. Das rechtfertigte er mit seiner Intelligenz und seiner Erfahrung. Und da er damals auch noch einen guten Draht zu Birgitta hatte, legte er fest, dass ich nicht nur ihn, sondern auch sie nicht zu kritisieren hatte. Denn das wäre zugleich eine Kritik an ihm.
Julian meinte auch, er müsse mal ein ernstes Wörtchen mit mir reden, weil Birgitta von mir genervt sei. Ich habe sie später darauf angesprochen. Sie lachte mich aus, weil das frei erfunden war.
»Alle finden dich hier unerträglich«, sagte er.
»Wer, alle?«, fragte ich.
»Alle eben«, sagte er. »Jeder, der mit dir zu tun hat.«
Es störte ihn offenbar, dass wir uns untereinander austauschten. Er meinte, wenn wir anfangen würden, miteinander zu sprechen, würde »die Wahrheit asymmetrisch«. In Island konnte er die Gruppe nicht mehr kontrollieren, wie im Chat. Es bestand plötzlich die Gefahr, dass andere zusammen einen Kaffee trinken gingen und sich über WL unterhielten.
In dem Apartment sah es innerhalb kürzester Zeit aus wie in einem Irrenhaus für Messies. Zuerst hatten sich die Putzfrauen mit ihren großen, schwarzen Trommel-Staubsaugern noch den Weg durch unsere Sachen gebahnt. Bald kamen sie mit ihren Geräten nicht mehr durch die Tür. Ein paar Tage lang kämpften die freundlichen isländischen Damen sehr beherzt um das Apartment Nummer 23. Aber nach spätestens fünf Tagen gaben sie das Terrain verloren. Wir schlossen daraufhin einen Waffenstillstand und tauschten von da an regelmäßig Einkaufstüten voller Müll gegen frische Handtücher und Klopapier.
Keiner von uns kochte oder kaufte wenigstens ein paar vernünftige Sachen zu essen. Zwischen unseren schmutzigen Klamotten sammelten sich halb geleerte Chipstüten. Ein Berg übel riechenden Trockenfischs, den mal jemand eingekauft, aber niemand für essbar befunden hatte, moderte vor sich hin. Es wurde stündlich ungemütlicher, und diese Geruchsmischung aus Käsesocken, Pizzaresten, Trockenfisch und Schwefel hätte man sich eigentlich als Folter patentieren lassen müssen.
Ich brauche wenigstens ein bisschen Ordnung zum Überleben, eine klitzekleine Chance auf Überblick. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn um mich herum nur Chaos herrscht. Da konnte ich noch so viel O-Saft mit der Grinseorange auf der Verpackung trinken, mir schwirrte irgendwann der Kopf. Das ließ sich auch mit zwanzig Bahnen im Freibad nicht mehr reparieren.
An einem Abend wollte ich mich wirklich dringend von meiner Müdigkeit kurieren und bat Julian, mich einfach einmal pennen zu lassen. Kurz danach hörte ich, wie er mit einer Bekannten telefonierte. Er lachte amüsiert in den Hörer. Offensichtlich hatte sie vorgeschlagen, man könne sich doch auch bei ihr treffen. Ich seufzte innerlich. Julian bestand darauf, dass sie zu uns ins Apartment käme. Das Problem war: Wir teilten uns nicht nur ein Zimmer, sondern auch
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