Inside WikiLeaks
mieteten uns ein Apartment im Fosshotel, keine schlechte Hotelkette und eigentlich viel zu teuer für uns, aber über verschlungene Kanäle schloss Julian einen guten Deal für uns ab. Letztlich zahlten wir eine eher symbolische Summe für einen ganzen Monat, Julian übernahm die gesamte Rechnung – und konnte sich damit als Gastgeber präsentieren.
Julian weihte den unscheinbaren Typen, der fast jede Nacht hinter dem Tresen an der Rezeption saß, in unser Treiben ein und eröffnete ihm, mit welch exklusivem Club er es gerade zu tun hätte. Und wie immens gefährlich das alles sei. Der war dann gleich drin in dem Film. Wenn wir spät abends von unseren Gesprächen und Arbeitstreffen nach Hause kamen, warf er uns einen verschwörerischen Blick zu. Vermutlich hielt er die ganze Nacht den Hotelparkplatz vor der Glastür im Blick und wartete auf die schwarze Limousine des amerikanischen Geheimdienstes.
Wir bezogen ein etwas karg eingerichtetes Apartment für vier Personen im zweiten Stock des Hotels, mit Küchenzeile, lila Stoffgardinen und Holzbodenimitat. Das Hotel, von außen ein hässlicher grauer Klotz, lag in einer ruhigen Seitenstraße fast direkt an der Uferpromenade. In dem Zimmer, das ich mit Julian teilte, gab es nur ein sehr kleines, auf Bauchnabelhöhe angebrachtes Fenster. Dafür war der Blick über die Faxaflói-Bucht umso großartiger. Ich lag oft da und schaute auf die klaren Linien des gegenüberliegenden Bergpanoramas, wenn mir Enge und Unordnung unserer Behausung mal wieder zu viel wurden.
Im Bad gab es kein Fenster, und wenn morgens drei Jungs hintereinander geduscht hatten, biss die Luft von dem schwefeligen Wasserdampf in der Lunge. Außer Julian und mir wohnten in dem Zimmer noch weitere Hacker und Netzaktivisten, die alle nach Island gekommen waren, um IMMI auf den Weg zu bringen. Darunter Rop aus den Niederlanden, Jake Appelbaum aus den USA sowie Folkert, ein guter Freund von mir aus Hongkong. Sie alle brachten Erfahrungen und Spezialwissen mit, das uns half, die Details der Idee auszuarbeiten.
Birgitta, die isländische Abgeordnete, die wir schon bei unserem letzten Besuch kennengelernt hatten, sowie Herbert und Smari trafen wir fast täglich. Die drei wohnten ja in Reykjavik. Außerdem kam noch Harald Schumann, ein Journalist vom Berliner Tagesspiegel, der eine Geschichte über uns schreiben wollte.
Birgitta war bald viel mehr als unser guter Draht ins isländische Parlament. Wir merkten schnell, dass sie wenig von einer typischen Politikerin hatte – wenn ich an Ursula von der Leyen dachte, hätte der Kontrast größer kaum sein können. Sie war immer sehr leger gekleidet. Sie trug zum Beispiel einen langen, schwarzen Mantel, Stahlkappenstiefel und dazu sehr mädchenhafte Details wie Silberkette, Bluse oder eine blumenverzierte Haarspange.
Birgitta wurde zur treibenden Kraft bei IMMI . Sie hatte einen anderen Blick auf die Dinge und konnte uns bei WL mit einer Einschätzung von außen oft sehr weiterhelfen. Und eine coole, liebenswerte Person ist sie obendrein.
Birgitta besorgte Anwälte, und die waren von der Idee des Medienfreihafens ebenfalls begeistert. Damit hätte ich gar nicht gerechnet. Die Juristen haben dann angefangen, an der rechtlichen Konstruktion von IMMI zu feilen.
Wir mieteten uns einen Platz im Ministry of Ideas, einem Komplex von alten Lagerräumen in Reykjavik, in dem viele soziale Projekte und politische Gruppen untergebracht sind. Man konnte dort für wenig Geld Räume zum Arbeiten mieten. Das Ministry war groß und hallig, der Boden aus grauem Beton. Die Einrichtung, Tische und Stühle, erinnerte an Klassenzimmer. Hinten gab es eine kleine Kaffeebar, und wir besetzten eine Couch daneben. Dort hielten wir Rat und versuchten, IMMI voranzubringen.
Wenn ich nicht am Rechner saß, traf ich potentielle Businesspartner. Es ging darum, den Service-Providern und der Regulierungsbehörde, den Rechenzentren und den Firmen, denen die Überseeleitungen gehörten, die Unterstützung unserer Initiative schmackhaft zu machen.
Island konnte bereits mit grüner Energie und einem kühlen Klima punkten. Das war gut für einen Serverstandort, keine Frage. Das Ziel, den Datenverkehr künftig um ganze 30 000 Prozent zu steigern, konnte man damit allein jedoch noch nicht erreichen. Denn so viele Kapazitäten lagen noch ungenutzt in den frisch verlegten Überseekabeln. Noch viel, viel wichtiger für Provider und ihre Kunden ist die Frage nach der Rechtssicherheit. Zu wissen, dass
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