Inside WikiLeaks
könnte einer vom Club den Job wegnehmen. Das war nun überhaupt nicht mein Problem. Das Gefühl, dass hinter meinem Rücken jemand Intrigen schmiedete, machte mir zu schaffen. Aber nicht, weil ich unbedingt der Sprecher von WL sein wollte und Angst vor Konkurrenz hatte, sondern weil ich nicht damit klargekommen wäre, wenn die Solidarität im Club auseinanderbräche. Plötzlich musste ich mich fragen, wie gut ich die anderen wirklich kannte.
Ich war lange kein Clubmitglied gewesen, ich zahlte auch keinen Vereinsbeitrag, sondern versuchte, mich auf andere Weise erkenntlich zu zeigen. Ich besorgte Hardware und half bei Veranstaltungen. Zum Club gehörte viel Vereinsmeierei, das war nichts für mich. Dennoch hatte ich ein schlechtes Gewissen dem Club gegenüber, zumal ich so oft auf dem roten Sofa übernachtete. Ich fragte nach, wie die anderen das sähen. Und die haben dann gesagt: »Du gehörst doch schon lange zum Club.« Das war für mich eine große Ehre, fast ein kleiner Ritterschlag.
Dieser Club hat schon viele Reibereien durchgemacht, ich war ja nicht der Erste, der für seine Arbeit ein bisschen Aufmerksamkeit bekam. Viele Clubmitglieder vor mir haben schon weitaus Größeres geleistet. Und der Erfolg der einen konnte zu Missstimmungen bei den anderen führen, so was kommt in den besten Gruppen vor. Der Club hatte es jedoch geschafft, genau an diesen Konflikten nicht kaputtzugehen. Ein wichtiger Punkt dabei war, dass es hier nicht üblich war, auf den anderen neidisch zu sein oder anderen den Erfolg zu missgönnen. Die einzige Reaktion, mit der man rechnen durfte, war Neugier. Man fragte vielleicht auch einmal nach, ob man was helfen könne. Und dann kümmerte sich jeder wieder um seine eigenen Interessen.
Es hat mich mitunter Monate gekostet, die Leute, von denen Julian behauptet hatte, sie würden schlecht von mir denken, darauf anzusprechen und nachzufragen, ob wir die Probleme nicht aus der Welt schaffen könnten. Eine weitere Spinnerei dieser Art war, dass ich kurz davor stünde, von einem Geheimdienst abgeworben zu werden. Weil Menschen wie ich, die gerade extrem unter Stress stünden, für die Dienste leichte Opfer seien. Ich frage mich wirklich, welcher Geheimdienst ein Interesse an mir gehabt haben sollte und welchen Megajob man mir unterbreitet hätte. Kantinenchef? Archivar für Geheimdokumente? Solche Verschwörungstheorien waren wie aus einem schlechten Agententhriller abgekupfert.
Schon kurz nachdem ich abgeflogen war, fing Julian an, die isländische Politik zu attackieren, nicht zuletzt das Justizministerium, mit dem wir eigentlich zusammenarbeiten wollten, um IMMI auf den Weg zu bringen.
Unser Twitter-Account war einmal ein neutraler Weg gewesen, um unsere Follower über Neuigkeiten und Artikel zu WL zu informieren. Wir wiesen auch auf kritische Texte hin, das entsprach unserem Selbstverständnis. Doch der Account verwandelte sich immer mehr zu einem »Was Julian Assange so denkt«-Kanal. Julian sprach bald von »seinen« Followern und »seinem« Account. Keinesfalls durfte man die Tweets kritisieren. Mal verunglimpfte er irgendwelche Journalisten als Vollidioten, bei späterer Gelegenheit schrieb er unangefragt, er hätte grad keine Zeit für Interviewanfragen – und zwar an einen Verteiler von 350 000 Empfängern .
Einmal hat er über einen Artikel des amerikanischen Enthüllungsmagazins Mother Jones via Tweet geschimpft. Später saß der Autor in der WL -Pressekonferenz zum Afghanistan-Leak und nutzte die Gelegenheit, einmal nachzufragen, was denn an besagtem Artikel nun so schlecht gewesen sei. Julian antwortete sinngemäß: »Ich habe gerade keine Zeit, das Stück Scheiße auch noch auseinanderzureißen.« Damals ärgerte es ihn vor allem, dass Journalisten unwissenschaftlich arbeiteten und nicht auf der Grundlage von Primärquellen, wie es eigentlich zu einer seriösen Arbeitsweise gehört. Aber auch er hatte nicht immer Belege für seine Geschichten. Etwa wenn es darum ging, dass er mal wieder verfolgt worden war.
Ich habe nie verstanden, woher bei Julian diese Obsession für das Verfolgtwerden kam. Es war fast so, als könnte er sich der Bedeutsamkeit seines eigenen Widerstandes erst dadurch versichern, dass man ihn zum Staatsfeind Nummer eins deklariert hatte. In Island hat er sich das Solschenizyn-Buch »First Circle« gekauft. Als er den Band in einem Antiquariat entdeckte, entlockte ihm der Fund ein glückliches Lächeln. Solschenizyn ist klassische Lektüre der
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