Inside WikiLeaks
sie keine Abmahnungen mehr zu erwarten hätten, dass keine unkalkulierbaren Prozesskosten mehr auf sie zukämen, das war ein Standortvorteil, der mit hundert großartigen Ökostrom-Zertifikaten nicht aufzuwiegen gewesen wäre, und das würde ein paar Arbeitsplätze schaffen und Geld in das bankrotte Land bringen.
Die isländische Regulierungsbehörde hatte Einwände, man könne sich dadurch wettbewerbsrechtlichen und anderen juristischen Ärger mit dem Ausland einhandeln. Womöglich zöge ein solches Internet-Eldorado vor allem Tauschbörsen und die Pornoindustrie an. Die Sorge war allerdings unbegründet. IMMI richtete sich vor allem an die Medien. Und IMMI bestand zudem aus nichts anderem als einer Sammlung von existierenden Gesetzen, aus allen Teilen der Welt, nur eben jeweils den besten Regelungen von allen.
Als Nächstes galt es, einen Termin zu finden, an dem wir das Vorhaben dem Parlament präsentieren könnten. Im Vorfeld sollte es eine Anhörung geben. Wir hatten mit viel Mühe einen Vortrag dafür ausgearbeitet. Dazu muss man sagen, dass ich, auch aus dem Tiefschlaf gerissen, jederzeit spontan einen akzeptablen Vortrag über WL gehalten hätte. IMMI jedoch war auch für uns neu. Die rechtlichen und politischen Implikationen mussten wir uns genauso erarbeiten wie alle anderen, davon abgesehen, dass wir mit dem politischen System in Island wenig vertraut waren.
Es gab dann einen ziemlich unglücklichen Auftritt im Parlament in Reykjavik. Unser Vortrag war für einen Dienstagnachmittag vorgesehen. Wir malten uns aus, mindestens die Hälfte aller Abgeordneten durch unsere Performance so mitzureißen, dass sie danach zu flammenden Unterstützern von IMMI würden. Bislang waren ja nur Birgitta und zwei, drei andere Politiker im Boot. Birgitta hatte die Idee schon lange adoptiert und im Parlament ordentlich die Werbetrommel gerührt. Sie arbeitete bereits daran, parteiübergreifend Abgeordnete für die Initiative zu begeistern. Doch wie viele das tatsächlich waren – wir wussten es nicht.
Schon auf dem Weg in den Sitzungsraum wunderte ich mich über die Ruhe auf den Parlamentsfluren. Ich war aus dem Deutschen Bundestag deutlich mehr Geschäftigkeit gewohnt. Es war ein Schlag ins Gesicht, als wir in den Präsentationsraum kamen. In den zehn Stuhlreihen saßen lediglich zwei Abgeordnete. Sonst nur leere Stühle und ein Windhauch, der durchs geöffnete Fenster zog und ein paar Papiere zum Rascheln brachte. Die meisten Politiker, sollten wir später erfahren, waren in den Urlaub oder in ihre lokalen Wahlkreise abgereist.
Wir begannen mit dem Vortrag. Allein die Planung, wer wann was sagen durfte, hatte uns Stunden, wenn nicht sogar Tage gekostet. Julian und die anderen ließen sich davon nicht irritieren. Ich fasste mich kurz – die Situation war zu absurd. Dass mehr Vortragende als Zuhörer versammelt waren, machte die ganze Vortragsform irgendwie sinnlos. Da konnte man genauso zum guten alten Gespräch zurückkehren. Zumal die beiden anwesenden Abgeordneten ohnehin nicht mehr überzeugt werden mussten.
Julian ließ sich wie immer nichts anmerken. Er zischte kurz nach dem Termin ab ins Ministry oder wohin auch immer. Ich war ein bisschen niedergeschlagen. Wie sollten wir IMMI ins isländische Gesetzbuch hieven, wenn zu einer Anhörung nur zwei Leute kamen? Zwei Abgeordnete plus Birgitta. Uns fehlten noch sechzig weitere zu unserem Glück. Und wir waren jetzt schon über drei Wochen in Island.
Ich hatte fast vergessen, wie ein schlecht besuchter Vortragssaal aussah und wie es sich anfühlte, ins Leere zu sprechen. Wir waren Rückschläge gar nicht mehr gewöhnt, fiel mir da auf. Ich weiß aber auch nicht, wie wir damals darauf kamen, dass uns ein schneller Durchmarsch gelingen könnte.
Neben den vielen Terminen setzte uns IMMI auch formal gewaltig zu. Wir mussten die Homepage zu der Initiative fertigstellen, ein Logo entwerfen und das Layout abstimmen. Es mussten Texte geschrieben und nicht zuletzt Positionen besprochen werden. Wir hatten uns ein bisschen verrannt und die Arbeit ziemlich unterschätzt.
Das nächste Ungemach, das über uns kam, keimte in unseren eigenen Reihen. In unserem Apartment gedieh zwischen Klamottenbergen und Pizzakartons der Lagerkoller. Wir alle, die wir uns im Chat extrem gut verstanden und effizient miteinander gearbeitet hatten, konnten die körperliche Anwesenheit der anderen über so viele Tage immer schwerer ertragen. Ich fand den Gedanken zuerst noch ganz amüsant:
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