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Inside WikiLeaks

Titel: Inside WikiLeaks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Domscheit-Berg
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anarchistischen Szene, war aber für Julian ganz besonders bedeutsam. Er identifizierte sich mit dem russischen Schriftsteller, der lange Zeit in einem Gulag verbracht und später in der Verbannung der kasachischen Einöde gelebt hatte.
    Julian sah viele Gemeinsamkeiten zwischen seinem Leben und dem des studierten Mathematikers und Philosophen. Der spätere Literaturnobelpreisträger war verhaftet worden, weil er in Briefen an einen Freund Kritik an Stalin geäußert hatte. Es gab einen alten Blogeintrag von Julian dazu. Darin schrieb er, »der Moment der Wahrheit« trete erst dann wirklich ein, »wenn sie dich verschleppen«. Der 2006 geschriebene Eintrag mit dem Titel »Jackboots« ist voll heroischer Romantik. Julian schreibt darin von Wissenschaftlern in stalinistischen Arbeitslagern und wie nah die darin beschriebenen Erfahrungen seinem eigenen Leben kämen. Die wahre Überzeugung sei erst dann erreicht, »wenn sie mit ihren Kampfstiefeln deine Tür eintreten und dich holen kommen«.
    Immer wieder warf er der isländischen Polizei vor, ihn zu überwachen. Auf einem Flug zu einer Konferenz in Oslo sei er außerdem von zwei Mitarbeitern des amerikanischen State Departments verfolgt worden. Er hätte eindeutige Beweise, dass sie mit ihm im Flugzeug gesessen hätten. Das erzählte er unseren – nein, sorry, seinen – Twitter-Followern. Auch das Hotel werde überwacht, glaubte Julian.
    Es tat der Spannung vor unseren Leaks sicherlich keinen Abbruch, dass er diese Aura ständiger Bedrohung zu erzeugen vermochte. Wir brauchten definitiv keine Marketingabteilung.

Das Collateral-Murder-Video
    Noch in Island begannen Julian und die anderen am Collateral-Murder -Video zu arbeiten. Vor Ort daran beteiligt waren Birgitta, Rop und zwei, drei Isländer, die uns vor allem technisch zuarbeiteten. Die Techies und ich saßen zu Hause an unseren Rechnern. Die anderen mieteten ein altes Haus am Stadtrand von Reykjavik, schlossen sich ein, zogen die Vorhänge zu und präparierten das Video.
    In dieser Zeit kamen zwei neue Mitstreiter zu WikiLeaks: die isländischen Journalisten Kristinn Hrafnsson und Ingi Ragnar Ingason. Kristinn und Ingi hatten sicherlich auch Einfluss darauf, dass unser nächster Release so journalistisch ausfiel. Beide kamen aus der Fernsehbranche, Ingi war Filmemacher. Sie begeisterten Julian dafür, das Videomaterial wie einen eigenen Filmbeitrag aufzuziehen.
    Kristinn hat schnell erfasst, was WL für ihn als Journalisten bedeuten könnte. Heute ist er der neue Sprecher von WL . Ich glaube, er war es, der Ingi mitbrachte. Und wenig später auch den 17-jährigen Jungen, der diesen seltsamen Julian-Hilfsarbeiter-Status erlangen sollte, den ich nie so ganz durchschaut habe. Julian berief sich später bei vielen Vorwürfen, die er mir machte, auf Kristinn: »Kristinn kann bestätigen, dass du die anderen aufgehetzt hast, Kristinn dies, Kristinn das.«
    Dass ich nicht nach Island zurückfahren wollte und sollte, war eine unausgesprochene Sache. Ich spürte, dass Julian mich nicht dabeihaben wollte, und fragte auch nicht danach. Ich konnte problemlos von Berlin aus für WL arbeiten. Und nun hatte ich auch einen guten Grund, in Berlin bleiben zu wollen: Anke. Wir hatten schnell gemerkt, dass wir füreinander geschaffen waren. Wir teilten dieselben Werte, wollten beide dieWelt verbessern und begegneten uns auf Augenhöhe.
    Derweil blieb weiter ungeklärt, wie es zwischen Julian und mir weitergehen würde. Ich bemühte mich um ein Gespräch, er blockte ab. Wir trafen uns seitdem nur noch im Chat, obwohl viele sagten, wir hätten uns einfach mal wieder sehen müssen, um unser Verhältnis geradezurücken. Unsere Gespräche wurden immer verrückter. Anfang Mai unternahm ich einen meiner vielen Anläufe, zu verstehen, was er mir vorwarf. Hier der Auszug aus dem Original-Chat.*
    D: i need to understand what we can do to get back to a level of mutual trust j
    D: whenever you have a minute to talk about this, let me know
    D: just need a constructive conversation
    J: i don't know where to start. and if I had to explain it, what would be the point?
    D: the point would be that we want to keep going?
    D: and i still think i am one of the few persons you can trust, like really trust
    D: and there are not too many of these around
    D: for what the last 3 years have been worth, it should be worth it
    J: pathological liars always have great faith in their own honnesty, that is what helps them lie
    D: why do you think i am a

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