Inside WikiLeaks
eine falsch abgerechnete Café-Quittung für die Steuer. Ich ahnte jedoch, wie so eine Hausdurchsuchung abliefe. Theodor Reppe, der Sponsor der deutschen WikiLeaks-Domain, hatte mir erzählt, wie es ihm 2009 ergangen war. Er hatte den Beamten mühsam erklären müssen, dass sein Subwoofer kein Computer war. Die Polizisten nehmen alles mit, was einem Computer oder Telefon ähnlich sieht. Ich hätte in den nächsten Tagen ungern auf mein Arbeitsgerät verzichtet. Und hin und wieder ruft mich jemand an, ich würde dann einfach gerne drangehen.
Auch Papiere wandern bei einer Hausdurchsuchung in die Taschen der Ermittler – unter dem Zeitungsstapel in der Küche könnten schließlich thermonukleare Papiere lagern oder in meinem Notizbuch der Schlüssel für die Insurance-Datei stehen. So habe ich versucht, die Wohnung von allem zu säubern, was für einen Polizisten mitnehmenswert ausgesehen hätte. Auch die Tüten voller Koks. Nein, kleiner Scherz.
Am Sonntag, den 28. November, erschienen die ersten Depeschen auf der eigens dafür geschaffenen Seite cablegate.org. Insgesamt handelt es sich, so steht es auf der Website, um vertrauliche Kommunikation aus den Jahren 1966 bis Ende Februar 2010, und zwar zwischen 274 Botschaften aus der ganzen Welt und dem amerikanischen State Department. 15 652 der Depeschen sind als »Secret« klassifiziert. Wobei man von den Depeschen nur schwerlich sprechen konnte. Denn zunächst konnten die Leser nur einen Bruchteil, wenige hundert Dokumente, auf der Cablegate-Seite einsehen.
Der Spiegel vom 29. November 2010 machte mit einer recht banalen Geschichte auf. Amerikanischer Diplomatenklatsch über Politiker: Sarkozy empfindlich und autoritär, Putin ein Alpha-Tier, Merkel unkreativ, Westerwelle unerfahren und Berlusconi ein eitler Partyheld – alle bekamen ihr Fett weg. Der Informationsgehalt tendierte wie eine Limesfunktion gegen Null. Nichts davon überraschte. Und wirklich Gedanken machen mussten sich diejenigen, die gar nicht auftauchten, weil sie zu unwichtig dafür waren. Weiter hinten im Heft kamen zum Glück interessante Geschichten.
Nachdem die Veröffentlichungsstrategie klar war, verstand ich auch, warum der Spiegel so gemächlich eingestiegen war: Die gut 250 000 Cables sollten auch in Zukunft nur in kleinen Portionen auf cablegate.wikileaks.org wandern. Es gab also bei den Journalisten keine Not zur Eile.
Spiegel, Guardian, El País und Le Monde sowie die New York Times – die diesmal nur deshalb wieder zu den Exklusivpartnern gehörte, weil der Guardian ihr das Material zugeschoben hatte – konnten das Material also genüsslich ausschlachten. Wenn es in diesem Tempo weiterginge mit den Veröffentlichungen, würde WL Monate davon zehren.
Warum die New York Times diesmal nicht zum Start-Team gehörte, kann ich mir gut vorstellen. In der Zeitung war ein kritisches Porträt über Julian erschienen. Warum der Guardian das Material dann mit der Konkurrenz teilte, kann ich nur vermuten. Zum einen missbilligten sie sicherlich Julians Versuch, negative Artikel mit Ausschluss zu bestrafen. Und zum anderen wollte der britische Guardian wohl nicht allein auf dem englischsprachigen Markt den Kopf hinhalten, sollte die Publikation juristischen Ärger nach sich ziehen. Es war gut, einen Partner im Heimatland der Depeschen auf seiner Seite zu wissen.
Die im Netz veröffentlichten Cables sind außerdem bearbeitet. Die wirklich brisanten Details sind nur den fünf exklusiven Medienpartnern zugänglich. Einzelne Cables zu redigieren, wenn sie Informationen enthalten, die Menschen in Gefahr bringen könnten, ist fraglos richtig. Die Medien haben öffentlich kommuniziert, dass sie das Redigieren zu einer Bedingung für die Kooperation gemacht hätten. Dazu gehörte zum Beispiel, die Namen chinesischer Dissidenten nicht zu veröffentlichen. Oder der russischen Journalisten und iranischen Oppositionellen, die mit den amerikanischen Diplomaten gesprochen haben.
Das hat auch Julian so gesehen. Er hatte selbst noch eine Anfrage an den amerikanischen Botschafter in London gestellt: » WL wäre sehr zu Dank verpflichtet, wenn die US -Regierung Hinweise zu den Fällen geben könnte, in denen sie eine Gefährdung von einzelnen Personen nicht ausschließen kann.« Der Chefjurist des State Department hat ihm Medienberichten zufolge geantwortet, man verhandele nicht mit Personen, die sich illegal Material beschafft hätten.
Beim Afghanistan-Release hatte Julian die NYT sogar nur knapp
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